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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Amanda
Autoren: Bianka Minte-König
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getreten, wenn er an Ostern nicht zum ersten Mal in seinem Leben Wein getrunken hätte, was ja bekanntlich eine berauschende Wirkung hat und Männer, und offenbar auch Jungen, Dinge tun lässt, die sie sich bei klarem Verstand nicht herausnehmen würden.
    »Kann sie sich nicht zivilisiert zur Wehr setzen?« Hatte Hansmann zu meiner Mutter gesagt. »Sie hat ihn gebissen, wie ein Tier ist sie über ihn hergefallen!«
    Ich hatte an der Tür gelauscht, und weil das, was er gesagt hatte, stimmte, machte ich mir darüber meine eigenen, durchaus sorgenvollen Gedanken. Warum schlug und kratzte ich nicht, wenn ich mich mit den Jungen balgte, sondern verspürte stets den Drang, sie zu beißen?
    Ich war mit meiner Zunge über meine Zähne gefahren, von denen die Augenzähne sehr spitz waren, wie die Reißzähne bei Raubtieren.
    »Es ist wohl erblich in unserer Familie«, hatte meine Mutter später gemeint, als ich sie darauf ansprach. »Eine Laune der Natur. Auch meine Zähne sind etwas spitzer und schärfer als üblich. Aber das hat nichts zu bedeuten. Wir sind dennoch zivilisierte Menschen, und du darfst das nicht zum Anlass nehmen, dich wie ein wildes Kätzchen aufzuführen und in jedem Jungen ein Mäuschen zu sehen, dem du ins Genick beißen kannst.«
    Dann hatte sie noch Wilhelm in Schutz genommen, etwas vom Backfischalter gemurmelt und die Debatte mit dem Satz abgebrochen »… und saug bitte keine Ratten aus, vor allem lass sie nicht im Bett bei dir liegen, wenn sie tot sind. Das ist unhygienisch und erschreckt das Personal.«
    »Aber ich bin so oft durstig«, hatte ich mich verteidigt. »Warum dürstet es mich so nach Blut?«
    Sie hatte abwehrend den Kopf geschüttelt und leise gemeint: »Ich werde es dir erklären, wenn die Zeit dafür reif ist.«
    »Und wann wird das sein?«
    »Ich denke, schon sehr bald. Ich komme auf unser Gespräch zurück.«
    Sie kam nie darauf zurück.
     
    S
ie ist wahnsinnig! Sie ist verrückt! Haltet sie, sie weiß nicht, was sie tut, nehmt ihr die Fackel ab, bevor sie das ganze Haus in Schutt und Asche legt!«
    Onkel Hansmann rannte brüllend über den Hof, vor ihm flatterten magere Hühner in kopfloser Panik auf, bevor er sie niedertrampeln konnte. Der Hund stellte sich ihm knurrend entgegen, als er sich auf mich stürzen wollte, um mir die Fackel zu entwinden. Ich stieß sie ihm hasserfüllt ins Gesicht, und er rannte schreiend, die Hände vor die Augen gepresst, zum Brunnen, um sich dort abzukühlen.
    Unser Kutscher Mathias versuchte mir etwas zuzurufen, aber ich konnte ihn durch das nun laute Gebell des Hundes kaum hören.
    »Amanda … niemand will dir Böses … die Fackel, du verbrennst dich!«
    Ich drehte mich um und hetzte panisch in Richtung Scheune, wo ich die Fackel von mir schleuderte und durch den Hinterausgang zum Wohnhaus rannte. Dort schloss ich mich in meinem Zimmer ein. Das war ein Fehler.
    Bald standen Tante Gertrud und Onkel Hansmann mit dem Gesinde davor und verlangten, dass ich herauskommenmöge. Ich saß in der Falle. Auch das Fenster bot keine Fluchtmöglichkeit, weil der Onkel Mathias davor postiert hatte. Aber da der mir das kleinste Übel von allen schien, schürzte ich schließlich die Röcke, öffnete die Flügel und sprang hinaus – ihm direkt in die Arme.
    »Lass mich!«, befahl ich ihm. »Lass mich sofort los! Ich schreie, wenn du mich nicht sofort loslässt.«
    Aber er lachte nur gutmütig, hielt mich noch fester und meinte gelassen:
    »Nun strample nicht so, das macht keine junge Dame. Beruhige dich lieber, Amanda, dann werden der Herr Onkel und die Tante auch die Contenance zurückgewinnen und alles geht zur gewohnten Ordnung über.«
    Aber er irrte. Nichts kehrte zur gewohnten Ordnung zurück, denn Rieke lag in ihrem Blut, Hermann hatte Bissspuren am Hals und die Scheune stand in hellen Flammen.
    »Sie ist nicht nur eine Bestie, sie ist auch ein Feuerteufel«, sagte Onkel Hansmann den Männern in weißen Hosen und Kitteln, denen er mich am Abend übergab. »Wir wissen uns mit ihr nicht mehr zu helfen. Wir denken, sie ist in Ihrer Anstalt am besten aufgehoben. Sie ist gemeingefährlich und wir können nur hoffen, dass uns das Dienstmädchen nicht noch stirbt.«
    Tante Gertrud weinte dazu und der kleine Hermann, der mit einem übertrieben dicken Verband um den Hals dabeistand, ebenfalls.
    »Es, es tut mir so leid«, versuchte ich stammelnd das drohende Unheil noch abzuwenden, aber es war zu spät.
    Onkel Hansmann war unversöhnlich, was gewiss nur zu einem
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