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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein
Autoren: Sebastian Thiel
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und entdeckte eine große Gruppe hessischer Soldaten. Er hatte an der Seite seines Bruders gegen die Hessen gekämpft, in der Schlacht bei Crefeld. Unzählige Soldaten hatte er auf dem Gewissen. Trotzdem waren Marschall Guébriant und der hessische Feldherr Eberstein siegreich gewesen und hatten seine Heimat zerstört. Kempen hatte lange durchgehalten. Mehrere Tage konnte die Stadt dem Ansturm der Männer standhalten. Als schließlich ein Geschoss die Stadtmauer an der Turmmühle traf und ein Loch in der Verteidigung klaffte, gaben die Bewohner auf. Mord und Plünderungen waren die Folge. Nicht nur in seiner Heimatstadt, allerorten benahmen sich die Soldaten wie Barbaren. Ganz gleich, ob Freund oder Feind. Die Grenzen verschwammen, Gesetze hatten keine Gültigkeit mehr. Ein Menschenleben war nicht mehr wert als der Dreck unter den Fingernägeln der Soldaten.
    Maximilian blieb auf dem Weg sitzen. Sollten sie ihn töten, ihm die schmutzigen Kleider vom Leib reißen und Gottes Strafe auf Erden vollziehen. Damit hätte sein kümmerliches Dasein ein Ende und er könnte seinen Bruder um Verzeihung bitten. Inständig hoffte er, dass Lorenz im Tod mit seiner geliebten Antonella fand, wonach er immer gesucht hatte. Leichter Regen setzte ein, als Maximilian eine stumme Entschuldigung gen Himmel schickte.
    »Guck dir den an«, grollte ein älterer Soldat, der die Spitze des Zuges anführte. »Ist der einer von uns?«
    Der bärtige Mann packte Maximilian an seinen langen schwarzen Haaren und blickte in die tiefblauen Augen, die auch Lorenz besessen hatte.
    »Sieht mir fast wie einer von Lamboys Männern aus.«
    Innerlich seufzte Maximilian. Natürlich trug er nichts mehr, was ihn wie einen Soldat hätte aussehen lassen.
    Der Hesse sah in ein eingefallenes Gesicht, mit Augenringen tief wie Wagenräder – eine schmutzige, bemitleidenswerte Gestalt, dem Tod näher als dem Leben.
    Maximilian bewegte sich nicht. Der Soldat verpasste ihm einen Schlag auf den Hinterkopf und setzte seinen Weg fort. Maximilian überlegte, wohin die Soldaten wohl gehen würden. Etliche Dörfer waren ihnen angesichts der drohenden Übermacht kampflos übergeben worden. Und obwohl der kaiserliche Befehlshaber Hatzfeldt keine Anstalten machte, die Bedrohung zu stellen, wurden die Lagerstellungen der Hessen und Franzosen gesichert. Dafür benötigten sie Munition, Geld und Nahrung – alles Mangelware in dieser vom Krieg gebeutelten Region. Wenn dieser französische Bastard Guébriant und sein hessischer Bluthund Eberstein ihre Karten richtig ausspielten, könnten sie vielleicht sogar bis nach Köln vordringen. Wenn Kurköln fiel, wäre es aus mit des Kaisers geliebtem Reich. Dieser viel zu lange währende Krieg wäre damit entschieden. Weitere Gedanken verbat sich Maximilian. Warum noch über den Krieg grübeln? Alles war unwichtig geworden.
    Die Wolken zogen sich zusammen, als wollten sie ihm den Weg in den Himmel versperren. Unzählige Männer gingen an ihm vorbei, ihre Säbel rasselten und vermischten sich mit den rauschenden Blättern der Bäume zu einer ganz eigenen Melodie. Ihre Uniformen waren von Schlamm verschmiert. Jeder trug das am Leib, was ihm gerade so passte, wählerisch konnte man in diesen Zeiten nicht sein. Doch selbst sie gaben kein so jämmerliches Bild ab, wie Maximilian es tat. Ab und zu bekam er einen Tritt, einige spuckten ihn an. Aber das war unwichtig. Gerechtigkeit gab es auf dieser Welt nicht. Ansonsten würde sein Bruder noch leben und seine Geliebte im Arm halten. Stattdessen hatte Gott zugelassen, dass Maximilian zum Mörder geworden war.
    Er starrte vor sich auf den aufgeweichten Boden. Erst die letzten beiden Männer des Trosses schenkten ihm mehr Beachtung. Ein schmächtiger Soldat packte ihn an den Haaren. Maximilian spürte eine kalte Klinge an seinem Hals, während der andere seine Kleidung durchsuchte.
    »Ein paar Groschen«, sagte der Soldat und hielt dem Schmächtigeren, der ihn immer noch gepackt hielt, triumphierend die Münzen vors Gesicht. »Ich dachte, der Lump hat gar nichts dabei.«
    Maximilian lächelte. Die hatte er beinahe vergessen. Genau wie seine Eltern, genau wie alles andere. Er hatte seine Familie verlassen müssen. Alles in Kempen erinnerte ihn an seinen Bruder. Das Leben ist einfach, wenn einem alles egal erscheint, und der Tod wird damit zur letzten, großen Herausforderung. Wenn er nur den Mut aufbringen würde, seine Adern von Neuem …
    »Vielleicht hat er noch etwas«, sagte der Soldat und
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