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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein
Autoren: Sebastian Thiel
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festigte seinen Griff. Maximilian spürte, wie die Klinge langsam in die Haut schnitt und warmes Blut sich mit dem Regen vermischte.
    »Da ist sonst nichts. Gar nichts.«
    »Soll ich ihn aufschlitzen?«
    Innerlich betete Maximilian, dass er es tun würde. Lediglich ein kleiner Stich … ein kurzer Dolchstoß, schon würden die Augen trüb werden und die letzten Kräfte den Körper verlassen. In wenigen Lidschlägen könnte er seinen Bruder wieder in die Arme schließen, ihn um Verzeihung bitten und seine Tat auf ewig in den Qualen des Höllenfeuers büßen.
    Anstatt ihm die Waffe in die Rippen zu stoßen, erhob sich der Soldat und ließ die Klinge in den Gürtel gleiten.
    »Guck ihn dir an. Der Bauernlümmel hat den Verstand verloren, seine Augen sind tot. Lass ihn hier in Ruhe sterben. Die Tiere besorgen den Rest.«
    Mit diesen Worten verließen sie ihn. Im zunehmenden Regen wurden die Geräusche der Soldaten schnell schwächer, und Maximilian blieb allein auf dem Feldweg zurück. Die Tropfen schlugen neben ihm ein, wie die Geschosse vor wenigen Wochen auf dem Schlachtfeld. Sollte er auf den Tod warten? In seinem Magen herrschte eine Leere, wie er sie noch nie erlebt hatte. Der Hunger war beinahe übermächtig, sein Geist schien zu schwirren, seine Gelenke wurden taub. Und doch war es nicht genug für den Tod.
    Die nächste Stadt war Viersen. Vielleicht sollte er versuchen, dort an einen Halunken zu geraten, der ihn auf die letzte Reise schicken würde. Allein war er offensichtlich nicht dazu imstande.
    Es dauerte noch einige Zeit, ehe er mühsam aufstand und sich auf wackligen Beinen in Richtung der Stadt aufmachte.

Kapitel 2
- Die gefallene Prinzessin -

    Neuß war schnell erobert worden. Guébriant hatte in drei Tagen erreicht, was Karl der Kühne mit 20.000 Mann in elf Monaten nicht fertiggebracht hatte. Die Stadt war gefallen und diente ihm als Hauptquartier. Beinahe der gesamte Niederrhein war nun in seiner Hand.
    Hier wimmelte es von Soldaten. Elisabeth zog ihre von Schlamm überzogene Kleidung an sich heran. Es war beinahe ungewohnt, über das vom Matsch verschmierte Kopfsteinpflaster zu gehen. In den Wäldern hatten Dornenbüsche und Gestrüpp gegen ihre Beine gepeitscht und kleine Schnittwunden hinterlassen. Sichelförmige rote Linien zogen sich über ihre blanken Waden. Einen Schuh hatte sie verloren, der andere bestand lediglich aus Nähten und Lederfetzen. Dort, wo keine Steine mehr lagen, gab der aufgeweichte Boden bei jedem Schritt einen schmatzenden Ton von sich. Dicke Wassertropfen fielen vom Himmel und durchnässten sie bis auf die Haut. In den eng verwinkelten Gassen suchte sie Schutz, doch nichts an diesem Ort vermittelte auch nur im Ansatz Sicherheit. Jede Schenke, jedes Gasthaus war voll von Soldaten, die ihre Humpen in die Höhe streckten und Lieder auf den Sieg sangen. Während die französischen und hessischen Männer feierten, lag über den Bewohnern das stille Tuch der Angst. Die Holzvorschläge vor den Fenstern waren geschlossen, allein fahler Kerzenschein kündete davon, dass die Häuser bewohnt waren. Die einfachen Bürger litten am meisten unter der Besatzung. Jedes Brot, jeder Schlafplatz, ja sogar Decken und Kleidung mussten sie den Siegern überlassen. Andernfalls wäre ihnen der Tod sicher. Recht, Gesetz und Moral waren an diesem von Gott verlassenen Ort nicht mehr zugegen. Hier herrschte die Angst.
    Elisabeth konnte es spüren: Die Häuser, die Straßen, die ganze Stadt zitterte förmlich unter der Bedrohung, die sich hier niedergelassen hatte.
    Ohne aufzublicken und die Kapuze tief in das Gesicht gezogen, ging Elisabeth nah an den Häuserfassaden entlang. Bloß keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dachte sie und überlegte es sich im selben Moment anders. Sollen sie ruhig kommen, mit mir machen, was ihnen beliebt. Dann wäre diese Tortur vorbei. Es war ein schmaler Grad zwischen Erlösung und Wahnsinn, den sie beschritt. Bald wollten ihre Beine das Gewicht ihres Körpers nicht mehr tragen. Am nördlichen Ende der Stadt fand sie, wonach sie gesucht hatte – einen Ort zum Sterben.
    Das quietschende Tor der Scheune öffnete sich einen Spalt, schnell schlüpfte sie hindurch und streifte ihre Kapuze ab. Ein paar alte Werkzeuge hingen an der Wand, dazu konnte sie einen Karren in der Ecke ausmachen und etliche Jutesäcke, die den Boden bedeckten. Die Gegenstände würden für ihr Vorhaben reichen. Ihre Finger waren blau und zitterten vor Kälte, als Elisabeth ein von Rost
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