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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein
Autoren: Sebastian Thiel
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alles meine Mädchen und ich werde dafür sorgen, dass du niemals mehr eine abbekommst. Da kannst du warten, bis du platzt.«
    Eilig riss sie von ihrem Unterrock ein Stück Stoff ab und band es mehrmals um Elisabeths Wunde. Diese stöhnte unter dem Druck. Die Frau verband sie so fest, dass Elisabeth glaubte, es würden Tonnen auf ihrer Haut lasten. Ihr Unterarm schmerzte augenblicklich dermaßen stark, dass sich ihre Augen weiteten. Die Kraft verließ sie, es fiel ihr schwer, den Kopf zu bewegen. Durch die Löcher in der Decke tropfte Regen ungehindert in ihr Gesicht und ließ Elisabeth noch mehr frösteln.
    »Ganz ruhig, Kleines«, flüsterte die Frau und kam mit ihrem Gesicht ganz nahe. Sie strahlte eine fast unheimliche Ruhe aus, wie es Menschen tun, die viel in ihrem Leben gesehen haben und noch mehr ertragen mussten. Dabei hatte sie einen gutmütigen Blick, sodass Elisabeth sich seit Wochen zum ersten Mal geborgen fühlte. Zärtlich streichelte die Frau ihre Wange und drückte weiterhin mit aller Kraft auf das Handgelenk. »Ich bringe dich weg von hier. Es wird alles gut, das verspreche ich …«
    Das Letzte, was Elisabeth sah, war der gegerbte rote Rock der massigen Frau. Ihre Umrisse verschwammen zu einer Schattenfigur. Sie vermochte nicht mehr zu unterscheiden zwischen Worten und Gesten, alles war gleich, nichts hatte mehr Bedeutung. War dies das Ende und dieser Schatten der Tod, der sie ins Jenseits begleiten würde? Die Nacht wurde für einen Wimpernschlag zum Tag, zuckende Sterne tanzten vor ihren Augen – schließlich wurde alles schwarz und ihr Verstand verlor sich in der Finsternis.

Kapitel 3
- Die Sünden eines Bruders -

    Maximilians Körper zitterte, tiefrot waren die Verbände, aus denen sein Blut auf den nassen Schlammboden tropfte. Als er sich vor die Tore der Stadt schleppte, begleiteten ihn die jagenden Wolken am Abendhimmel. Endlich hatte er Viersen erreicht.
    Auch diese Gemeinde schien vom Krieg gebeutelt zu sein. Die Verteidigung der Stadt war praktisch nicht mehr existent. Ohne Probleme konnte er die wenigen Wachen umgehen und fand sich schnell im Ortskern wieder. Niemand sonst war auf dem Platz zugegen, die Fensterläden der Häuser waren geschlossen und kein Licht drang durch die Türspalten hervor. Viersen hatte ebenfalls Einquartierungen bekommen. Ein schöner Begriff dafür, dass die Bewohner ihre Betten, ihre Kleidung, ja ihr gesamtes Hab und Gut der Streitmacht zur Verfügung stellen mussten. Einige verwinkelte Gassen schlängelten sich vom Marktplatz ab und das Kopfsteinpflaster war vom nassen Dreck braun gezeichnet.
    Nicht einmal die Hunde wollten bei diesem Wetter draußen sein, dachte Maximilian und ging einige Schritte weiter. Die mächtige Remigiuskirche ragte wie eine spitze Nadel, die in Wolken stechen wollte, in den Himmel. Das Dach des Bauwerks warf einen Schatten, der ihn zu verschlucken drohte. Die Dämmerung hatte die Stadt bereits in ihrer dunklen Umarmung eingeschlossen. Bald würde neben den feindlichen Soldaten die absolute Dunkelheit regieren. Blitze zuckten durch die Nacht, als ob Gottes Zorn über Maximilian hereinbrechen würde. Der Donner grollte, die Stimme der Gerechtigkeit wollte den Tribut für seine schreckliche Tat einfordern.
    Obwohl die Nässe vollends seine Kleidung durchdrungen hatte, brannte seine Haut, als stünde sie in Flammen. Sein Atem beschleunigte sich, sein Herz schlug wie wild in seiner Brust. Erneut blitzte es, danach folgte der Donner.
    Maximilian war gegen eine Wand aus Arkebusen angelaufen, hatte gegen etliche Männer gekämpft, die größer und kräftiger waren als er, mitten im französischen Artilleriehagel hatte er seinen Säbel gezogen und in die hasserfüllten Augen seiner Feinde geblickt, doch noch nie hatte er solche Angst verspürt wie in diesem Moment. Wie eine unheilbare Krankheit nistete sie sich in seinem Leib ein, griff und zerrte an ihm, bis nichts mehr übrig blieb außer der puren Verzweiflung.
    Maximilian sank, ohne es zu wollen, auf die Knie. Er hatte das Gefühl, als würde das Gotteshaus auf ihn stürzen. Der Donner war ohrenbetäubend. Kalter Schweiß vermischte sich in Maximilians Nacken mit dem peitschenden Regen. Die Tropfen schmerzten auf seiner Haut. Sein gepresster Atem bildete kleine weiße Wölkchen, die sich sofort auflösten. Erschöpfung und Übermüdung ließen ihn nicht mehr klar denken. Und dann dieser Hunger, dieser unbeschreibliche Hunger, der ihm jegliche Kraft aus dem Körper zog. Erbarmungslos
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