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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein
Autoren: Sebastian Thiel
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platzen können. Doch von ihrer wallenden blonden Mähne waren lediglich strohige Haare übrig, die vormals strahlend blauen Augen wirkten trüb, ihre Haut war matt. Sie war übersät von Dreck und Schürfwunden. Selbst ihre einstmals vollen Lippen waren dünne Striche – nichts war mehr übrig von dem vollen Rot.
    Angewidert von sich wandte sie ihren Blick zur Tür. Es war gerecht. Sie sah aus wie eine Aussätzige, wie eine Kranke, die man wegsperren sollte. Das konnte nur eine Strafe des Allmächtigen sein. Warum sonst hätte er ihr das Aussehen rauben und sie in das Lager des Feindes schicken sollen? Sie sollte leiden, bevor er sie holte.
    Elisabeth nickte. Dann soll es halt so sein. Nichts anderes hatte sie verdient. Sollten die Soldaten sie holen und es endlich beenden.
    Ohne weiter zu zögern, stieß Elisabeth die Tür auf. Ein warmer Windhauch umspielte ihren Körper und ließ sie für einen Moment die Augen schließen. Anschließend stieg sie die kleine Treppe hinab und stand mitten im Lager.
    Vater hatte sie früher vor feindlichen Truppen gewarnt. Die Brutalität der Hessen war allerorts bekannt, sie nahmen sich, was sie wollten, wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe. Und hier, im Inneren des Wahnsinns, würden Elisabeths schrecklichste Fantasien noch übertroffen werden, dessen war sie sich sicher.
    Einige Augenblicke verharrte sie und war auf das Schlimmste gefasst. Doch abgesehen von wenigen erschöpften Blicken und einem dünnen Pfeifen gab es keinerlei Reaktion auf ihr Erscheinen. Die Männer gingen an ihr vorbei, schauten kurz hoch, musterten ihre Gestalt und seufzten auf, als wäre zwischen ihnen eine unsichtbare Barriere, die Elisabeth nicht wahrnehmen konnte.
    Das Lager erstreckte sich, so weit Elisabeth sehen konnte. Der Duft von gebratenem Fleisch lag in der Luft und vermischte sich mit dem Gestank von Fäkalien zu einer ganz eigenen Komposition. Während die Soldaten in Zelten hausten, waren hier acht Kutschen zu einer Wagenburg zusammengestellt. Daneben graste friedlich dieselbe Anzahl an Gäulen, die sich vom Tumult um sie herum nicht anstecken ließen.
    »Schön, du bist auf den Beinen.«
    Erschrocken fuhr sie herum. Mit einem dicken Bündel gewaschener Kleider kam Rosi auf sie zu, verstaute die Kleidung im Wagen und trat neben sie.
    »Du scheinst ihnen zu gefallen«, sagte sie mit Blick auf die vorbeigehenden Männer.
    Die Stirn in Falten gezogen, sah sich Elisabeth in der Wagenburg um. Erst jetzt war sie imstande, zwischen den rauen Männerstimmen ein paar höhere Töne auszumachen. An einer Feuerstelle etwas abseits erblickte sie ein Dutzend Frauen, die ungeniert Kleider anprobierten, ohne dass ein Mann in ihre Nähe kam.
    »Keine Angst«, sagte Rosi. »Die Männer werden dich nicht belästigen, geschweige denn anfassen. Die meisten von ihnen haben sowieso wenig Geld.«
    In der Tat konnte Elisabeth große Unterschiede zwischen den Soldaten erkennen. Bei einigen trennte nur der Säbel sie von dem Aussehen eines Bettlers, andere hingegen waren in den schönsten Farben gekleidet. Das waren auch genau die Männer, die hinter vorgehaltener Hand miteinander flüsterten und verstohlen auf eine der Frauen zeigten, während die zerlumpten keine Anstalten dazu machten.
    »Ich habe mit dem Major der Truppe, Ernst von Rosen, ein Abkommen geschlossen. Wir bieten unsere Dienste erst bei Sonnenuntergang an, damit die Männer tagsüber nicht auf dumme Gedanken kommen. Sollte doch mal einer der Soldaten grob werden, sind ihm Folter und Tod gewiss. Deshalb wird dich hier niemand schlecht behandeln.« Mütterlich legte sie die Hand auf Elisabeths Schulter. »In dieser gefährlichen Zeit ist der Hurentross eine der wenigen Möglichkeiten für alleinstehende Frauen, Geld zu verdienen und zu überleben. Wir dürfen mit der Armee mitfahren, müssen dafür aber einen Teil unserer Einnahmen direkt an Major von Rosen abtreten.« Verächtlich schnaubte sie. »Wenn es nach ihm ginge, würde er uns als Hexen verbrennen lassen. Er meint, dass wir die Moral der Truppe untergraben.« Jede ihrer Aussagen war durchzogen von Spott. »Doch dann würden seine Männer rebellieren, und auch die Abgaben, die er von uns verlangt, verhelfen uns zu diesem Status. Wir haben Glück, dass wir den Hauptmann auf unserer Seite haben. Ein alter Haudegen, grantig, mit bösem Blick, aber er hat das Herz am rechten Fleck. Er hat noch nie eins meiner Mädchen angefasst, setzt sich aber trotzdem beim Major für uns ein. Gott alleine weiß,
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