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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein
Autoren: Sebastian Thiel
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warum.«
    Noch einmal schweifte Elisabeths Blick zu den kichernden Frauen. Nicht, dass sie unbedarft war, was den Beischlaf betraf – im Gegenteil. Während ihr Vater noch dachte, dass sie die brave Tochter war, hatte sich Elisabeth von den Männern genommen, was sie wollte. Das Spiel mit ihnen war ihr also nicht vollends fremd, aber dieses für Geld zu tun?
    »Eine Frauenwirtin«, flüsterte Elisabeth zu sich selbst.
    »So nennt man meinen Beruf«, antwortete Rosi.
    »Sie sind also allesamt Huren?«
    Rosi lächelte sie an, spuckte auf ein Taschentuch und begann, Elisabeths Gesicht vom Dreck zu befreien.
    »Natürlich nicht«, scherzte sie lächelnd und zwinkerte ihr zu. »Meine Mädchen sind Zuhörer, Verlobte für eine Nacht und Geschäftsleute im Gewerbe der käuflichen Liebe.«
    »Wer sind sie, wo kommen sie her?«
    Rosi zuckte mit den Schultern, ließ sich aber nicht von ihrer Aufgabe ablenken, während Elisabeth den Blick nicht von den Frauen nehmen konnte.
    »Von hier und dort. Ihre Geschichten sind so unterschiedlich wie ihre Gesichter. Einige waren kurz vorm Verhungern, als ich sie auflas, andere flehten mich auf Knien an, dass sie für mich arbeiten dürfen. Wir haben keine Ehemänner mehr, keine Söhne und Väter, die auf uns aufpassen. Das müssen wir selbst erledigen. Zu mir kommen diejenigen, die sich ein besseres Leben erhoffen und keinen Mann mehr haben.«
    Auch wenn sie ihren Körper verkaufen mussten, um an Nahrung und Kleidung zu kommen, schienen diese Frauen glücklich. Trotz der Gewissheit, dass sie, wenn die Sonne untergegangen war, diesem grobschlächtigen Volk zu Diensten sein mussten.
    »Sie wirken zufrieden.«
    »Zufrieden?«, hakte Rosi nach und hielt für einen Moment inne. »Schau sie dir an. So viel Geld, wie sie in diesen Tagen verdienen, hätten sie in zwei Leben nicht zur Verfügung gehabt. Spiel mit den Männern, schenk ihnen einen Hauch Aufmerksamkeit, lass sie fallen und zieh sie wieder an dich heran, schon sind sie Wachs in deinen Händen und geben dir ihre letzten Taler.«
    Rosi fasste an Elisabeths Kinn, drehte ihren Kopf in der Abendsonne, um sie im Licht zu begutachten, und war anscheinend sehr zufrieden. »Glaube mir, mein Kind, unser Gewerbe ist das einzig ehrliche in diesen Tagen. Du bezahlst, bekommst, was du willst, und gehst. Weder der hessische Eberstein noch der französische Marschall Guébriant oder der kaiserliche Feldmarschall Hatzfeldt werden diesen Krieg für sich entscheiden können. Die wahren Gewinner sind wir.« Sie lachte leise auf. »Zumindest solltest du es auf diese Weise sehen.«
    Elisabeth wusste nicht, was sie mehr beeindruckte – der unerschütterliche Optimismus der Hurenmutter Rosi oder ihr Mut. Beides hätte man leicht mit Dummheit oder Naivität verwechseln können, doch ihre Worte waren klug. »Wieso hast du mich aufgelesen und zum Lager gebracht?«
    Kurz funkelten Rosis Augen.
    »Nicht, dass ich nicht dankbar wäre«, fügte Elisabeth hastig hinzu. »Aber warum hast du es getan? Es gab keinen Grund, mich zu retten.«
    Die Frau atmete tief ein und steckte das Stofftuch zurück in den Ärmel ihres Kleides. »Weißt du, Elisabeth … Manchmal siehst du jemanden schwer verletzt im Graben liegen, blutend, röchelnd, am Ende seiner Kräfte, und du weißt sofort, dass der Tod seine Erlösung bedeutet.« Hoffnungsvoll strahlte sie. »Bei dir war es anders. Ich glaube nicht, dass deine Zeit bereits gekommen ist, dass du nie mehr glücklich werden kannst. Egal was dir widerfahren ist, wie schrecklich deine Geschichte war, sie ist vorbei.«
    Die Sonne hatte an diesem Tag ihren Weg noch nicht beendet. Flimmernd warf sie ihren orangefarbenen Schein über die Zeltstadt und kündigte die baldige Dämmerung an.
    Rosi fuhr fort: »Vielleicht hilft es dir ja, wenn du ein Bad nimmst. Du bist wirklich eine Schönheit, weißt du das? Ich kenne eine ganze Menge Frauen, die alles dafür geben würden, auszusehen wie du.«
    Ungläubig fasste sich Elisabeth in ihre strohigen Haare. »Früher waren sie mal anders. Aber das ist längst vergangen.«
    »Unsinn!«, entfuhr es Rosi und schob sie vor sich her. »Gib mir und unserer kleinen Bela ein paar Tage, und das Mädchen, welches du im Spiegel erblicken wirst, wird wieder atemberaubend schön sein.«
    Gemeinsam gingen sie zu einem Wagen, der von Holzlatten umrahmt war, um vor neugierigen Blicken geschützt zu sein. Rosi schob sie zu einem großen Zuber und machte sich daran, Elisabeths Kleidung abzustreifen. Drei kleine
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