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Die Dirne und der Bischof

Die Dirne und der Bischof

Titel: Die Dirne und der Bischof
Autoren: Ulrike Schweikert
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die Rothaarige mit den Sommersprossen und holte die junge Frau in die Wirklichkeit zurück. Sie lächelte Gret zu und nickte.
    »Ja, wir nennen sie Elisabeth«, rief Ester. »Das ist gut. Hieß das Haus nicht so, als es einst für zehn arme Frauen gestiftet wurde, die hier Kost und Kleidung bekommen sollten?« Die anderen nickten zustimmend.
    »Gut, dann ist das abgemacht.« Wirtin Else klatschte in die Hände. »Also, ab in eure Betten, und ich will kein Gerede mehr hören!«
    »Elisabeth«, flüsterte die Frau im Bett und lauschte dem Klang. Ja, das war gut so. Auch wenn sie sich nicht sicher sein konnte, ob sie selbst das Mädchen gewesen war. War es überhaupt eine echte Erinnerung? Wenn ja, wo waren all die anderen, die sie im Laufe ihres Lebens aufgesammelt haben musste? Doch so sehr sie auch suchte, außer diesem einen bunten Fetzen war rund herum nur düsterer Nebel in ihrem Geist zu finden. So konzentrierte sie sich auf diese eine Begebenheit und beschloss, sie wie einen Schatz zu hüten. Erschöpft schloss Elisabeth die Augen. Das kleine Mädchen lächelte ihr zu.
    Else wartete, bis Ruhe eingekehrt war, dann löschte sie die Lampe. Die Wirtin ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Der große Schlüssel knirschte im Schloss. Ein paar Sterne leuchteten ihr den Weg zu ihrem Haus. Nun ja, es war mehr eine Hütte denn ein Haus, klein und niedrig, mit lehmbestrichenen Flechtwänden und einem durchhängenden Strohdach, dennoch konnte sie es ihr Eigen nennen, und es hatte alles, was sie brauchte: Eine Feuerstelle mit einem Kessel darüber, einen Tisch, eine Holzbank und zwei Hocker und ein Wandbord, auf dem sie ihr Tongeschirr und Lebensmittel aufbewahrte. Ein zweiter, winziger Raum wurde von einer schulterhohen Flechtwand abgetrennt. Der vorherige Besitzer hatte dort in der Ecke sein Vieh gehalten, ein Schwein, eine Ziege und ein paar Hühner, aber Else hatte den Verschlag gesäubert, mit frischen Binsen bestreut und ihre Bettstatt dort eingerichtet. Dort stand auch ihr größter Stolz: Eine eisenbeschlagene Truhe mit einem Schloss, in der sie ihre Kleider, das eingenommene Geld und all ihre anderen wertvollen Habseligkeiten aufbewahrte.
    Else trat an den Herd und schob die Asche auseinander. Darunter glühten noch ein paar verkohlte Scheite. Sie zündete ein Binsenlicht an und stellte es auf den Tisch. Schwerfällig ließ sie sich auf die Bank sinken. Sie griff unter ihre Röcke und zog das Medaillon hervor, das der Handwerksbursche ihr als Bezahlung gegeben hatte. Die goldene Oberfläche schimmerte im Licht der Flamme, der große Edelstein und die Perlen blitzten. Das war kein billiger Tand! Dieses Schmuckstück hatte ein kunstfertiger Goldschmied hergestellt, und sie war bereit, jede Wette einzugehen, dass der Stein und die Perlen so wertvoll waren, wie sie ihr im warmen Licht der Lampe erschienen.
    »Junger Narr«, murmelte die Wirtin und ließ das Kleinod an seiner Kette hin und her schwingen. Dann wickelte sie es sorgsam in ein Tuch und verstaute es unter Hemden und Strümpfen in ihrer Truhe. Ein zufriedenes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel, als sie unter ihre Federdecke schlüpfte und sofort einschlief.
    Elisabeth lag im Dunkeln. Es machte keinen Unterschied, ob sie die Augen öffnete oder geschlossen hielt. Fast könnte sie meinen, sie wäre wieder in ihre Ohnmacht zurückgeglitten, wenn nicht verschiedene Geräusche an ihr Ohr gedrungen wären. Sie konnte die Frauen atmen hören, eine von ihnen schnarchte leise, eine andere murmelte etwas im Schlaf. Dann raschelte das Stroh einer Matratze, als sich jemand auf seinem Lager herumdrehte. Draußen tropfte irgendwo Wasser. Ein Hund jaulte. Sie konnte auch den Wind hören, der um die Häuserecken strich.
    »Elisabeth«, flüsterte sie und lauschte dem Klang des Namens. War sie das wirklich? Von nun an ja, aber wer war sie gewesen, bevor die Finsternis sie umfangen hatte? Gehörte sie hierher oder war ihr ein anderes Leben bestimmt gewesen? Was hatte sie dort herausgerissen? Sie schickte ihre Gedanken auf die Suche nach ihrer Vergangenheit, fand aber nur Leere. Es war, als habe Gott sie in dieser Stunde erst - jungfräulich und nackt - auf die Erde gesandt. War das möglich? Sie wusste es nicht. Und was war dann mit der Erinnerung an das kleine Mädchen und die dicke Frau? Sie hatte von ihrem Vater gesprochen. Es gab dort draußen also eine Familie, die vielleicht in diesem Augenblick nach ihr suchte und sich Sorgen machte, was mit ihr geschehen sei.
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