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Die Dirne und der Bischof

Die Dirne und der Bischof

Titel: Die Dirne und der Bischof
Autoren: Ulrike Schweikert
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Ein Vater und vielleicht auch eine Mutter und Geschwister. Oder gar ein Ehemann? Elisabeth lauschte in sich hinein. Eher nicht. So alt war sie sicher noch nicht. Sie legte ihre Hände auf ihren Leib. Wenigstens war sie sich ziemlich sicher, dass sie noch kein Kind geboren hatte. Plötzlich blitzte das Bild eines kleinen Jungen auf, der sie gegen das Schienbein trat und ihr an den Zöpfen zog.
    Das blonde Mädchen, das ihn kaum um einen Zoll überragte, schrie auf und schlug ihm ins Gesicht.
    »Aua!«
    Der Junge blinzelte die Tränen weg und hielt sich die gerötete Wange.
    »Du blöde Ziege«, schrie er erbost. Dann wandte er sich um und rannte davon. »Elisabeth ist ein blöde Ziege!«
    Das hörte sie ihn noch rufen, ehe das Bild verblasste und der Nebel ihre Erinnerungen wieder verhüllte. »Ich bin Elisabeth!«, sagte sie leise, dann schlief sie ein.
    Ein Kichern nahe ihrem Ohr weckte sie. Dann legte sich eine Hand auf ihre Schulter und schüttelte sie leicht.
    »Wach auf! Es ist schon lange Tag. Willst du den ganzen Sonntag verschlafen? Wir waren schon in der Frühmesse. Mü ßiggang ist eine Sünde, sagt der Pfarrer!«
    Die junge Frau hob die Lider und rieb sich die Augen. Fremde Gesichter starrten sie an. Eine Weile brauchte sie, um sich zu erinnern. Richtig, sie war aus der Finsternis geboren worden und in diesem Haus aufgewacht mit all diesen Frauen, die sie Elisabeth genannt hatten. Nein, korrigierte sie, sie war Elisabeth und hatte als Kind ein Kätzchen gehabt und einen Jungen gekannt, der sie an den Zöpfen gezogen hatte! Erleichterung durchflutete sie, dass die Nacht weder das Kätzchen noch den frechen Knaben mit sich genommen hatte. Elisabeth richtete sich auf und lächelte in die Runde.
    »Ich bitte um Verzeihung. Ich wollte keine Unannehmlichkeiten bereiten.« Die Frauen lachten.
    »Wie sie spricht!«, sagte die Mollige mit dem mausbraunen Haar und presste kichernd die Hand vor den sinnlichen Mund. Sie schien die jüngste der Frauen zu sein.
    »Du hast keine Unannehmlichkeiten gemacht. Die Meisterin hat gesagt, wir sollen dich schlafen lassen«, beschwichtigte sie die große Frau mit dem roten Haar und den Sommersprossen.
    »Aber jetzt steh auf«, ergänzte die Schwarzhaarige mit den dunklen Augen. Sie schien nicht aus der Gegend zu sein, so wie sie die Worte betonte. Eher weich und singend. Sie streckte Elisabeth einen einfachen, dunklen Rock, den man unter der Brust schnüren konnte, und eine Haube entgegen. »Hier, das hat mir die Meisterin für dich gegeben. Das müsste dir passen. Ich bin übrigens Jeanne.« Sie lächelte und ließ gerade Zähne sehen, in deren Reihe allerdings eine Lücke klaffte. »Der Feuerkopf neben mir heißt Gret, die Kleine mit dem Haar wie Kastanien heißt Mara, unsere Jüngste mit den weichen Formen ist Anna. Die gute Seele, die Gott mit einem Pferdegesicht gestraft hat, heißt Ester. Die Narben hat sie allerdings von ein paar Männern. Und die, die entweder verkniffen oder zornig dreinschaut und uns das Leben hier zur Hölle macht - wenn die Männer es gerade nicht tun - ist Marthe.«
    Die Letztgenannte zog Jeanne an den Haaren und zischte: »Halt dein französisches Schandmaul. Man sollte dich dahin zurückschicken, wo du hergekommen bist. Ich warne dich! Fordere nicht meinen Zorn heraus!«
    Jeanne schien sich nichts daraus zu machen. Sie schob sich außer Reichweite von Marthes Händen und grinste Elisabeth an. »Da hörst du es! Vor ihr musst du dich in Acht nehmen. Aber nun komm!«
    Sie schlug die Decke zurück, zog Elisabeth das Hemd über den Kopf und begann die junge Frau mit warmem Wasser abzuwaschen. Errötend nahm ihr Elisabeth den Lappen aus der Hand. »Danke, das kann ich selbst.« Sie senkte den Blick. Es war ihr unangenehm, dass die Frauen noch immer dastanden und sie anstarrten. Jeanne half ihr, sich mit einem Laken abzutrocknen und das Hemd wieder anzuziehen.
    »Darf ich dir das Haar waschen? Es muss wunderschön sein, wenn es erst einmal von dem ganzen Schlamm und Moder befreit ist.«
    Elisabeth nickte und ließ es auch zu, dass Jeanne ihr anschlie ßend in den Rock half und ihn unter der Brust zuschnürte. Er war tief ausgeschnitten und hatte nurhalblange Ärmel, sodass über der Brust und an den Armen das helle Hemd zu sehen war. Zuletzt band Jeanne ihr eine Haube um das nasse Haar. Inzwischen waren Mara und Anna hinausgegangen und kamen nun mit einem Kessel zurück, den sie auf den Tisch wuchteten. Ester holte Schalen und Becher vom Wandbord. Die
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