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Die Dilettanten

Titel: Die Dilettanten
Autoren: Thomas Wieczorek
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veranstaltete ausgerechnet Rot-Grün ein neoliberales Feuerwerk aus Entstaatlichung, Sozialabbau, Umverteilung nach oben und weltweiter Bundeswehrpräsenz, das sich Schwarz-Gelb niemals getraut hätte.
    Als Angela Merkel dann Kanzlerin wurde, war wiederum das neoliberale Projekt fast vollendet, die Forderungen der Wirtschaft nach mehr Deregulierung, Wettbewerb und Privatisierung weitgehend erfüllt.
    Allerdings hat sich erneut der Zeitgeist gedreht. Das neoliberale Projekt erlebt mit der Weltwirtschaftskrise seine Götterdämmerung, und die Menschen sehnen sich wieder nach dem verleumdeten Sozialstaat. Immer lauter wird über Alternativen zum Kapitalismus nachgedacht; selbst die Union sieht sich genötigt, die
Soziale Marktwirtschaft
vom
Kapitalismus
abzugrenzen – und mehr oder minder verstohlen eine Position der linken Opposition nach der anderen zu übernehmen. Das beweist natürlich nicht unbedingt einen Sinneswandel der Regierung. Vielmehr versucht sie offenbar bis zum Wahltag, wenigstens die letzten Reste ihrer neoliberalen Mission zu retten.
7. Das Bundesverfassungsgericht – Bollwerk gegen die Verfassungsfeinde in der Regierung
    Die Abhängigkeit von der Justiz spüren Gesetzgeber und Regierung natürlich immer dann, wenn sie die Verfassung Verfassung sein lassen und an Recht und Gesetz vorbeioperieren. So stoppte das Bundesverfassungsgericht in jüngster Zeit die Gesetze zur Luftsicherheit, zur Telekommunikationsüberwachung oder zur Online-Durchsuchung – nicht zufällig also Gesetze zum Abbau des Rechtsstaats – und entschied für die Gleichstellung der Homosexuellen ebenso wie für die Pressefreiheit und die alte Pendlerpauschale.
    Die Prinzipientreue der Obersten Richter verdient auch deshalb Respekt, weil sie hier nicht irgendwelchen Neonazis, sondern der Regierung und der Koalitionsmehrheit ein ums andere Malbescheinigen, sozusagen rechts neben unserer Verfassung zu stehen. Sensationell ist diese Standhaftigkeit geradezu, wenn man bedenkt, dass das Bundesfassungsgericht entgegen manchem Gehabe keineswegs von Gott dem Allmächtigen eingesetzt wurde, sondern von ebendiesen gescholtenen Bundestagsparteien nach Proporz aus der zweiten politischen Garnitur berufen wird, insbesondere die Präsidenten. So war CDU-Mann Roman Herzog (1987 bis 1994) vorher rheinland-pfälzischer Staatssekretär unter Ministerpräsident Helmut Kohl, SPD-Frau Jutta Limbach (1994 bis 2002) Berliner Justizsenatorin und CSU-Mann Hans Jürgen Papier (seit 2002) Vizechef der Ethikkommission der Bayerischen Landesärztekammer.
    Dass die Richter sich offenbar nicht Struckscher oder Kauderscher Parteidisziplin, sondern schlicht dem Grundgesetz verpflichtet fühlen, lässt natürlich zuweilen die Schläfenadern der Gescholtenen anschwellen. Schon 2001 warnt der damalige Außenminister und Kosovo-Feldherr Joschka Fischer das BVerfG, dem Bundestag ein zu großes Mitspracherecht in der Außen- und Sicherheitspolitik einzuräumen.
    Nun werden Urteile des Bundesverfassungsgerichts seit jeher als Einmischung des Rechts in die Politik kritisiert, vor allem deshalb, weil es logischerweise meist als »Niederlagenkorrektive der parlamentarischen Minderheit« gegen die Parlamentsmehrheit angerufen wird. 327 Wohlweislich wird dabei verschwiegen, dass das Gericht die Gesetze ausschließlich auf Verfassungsmäßigkeit prüft und sich keineswegs in Dinge einmischt, die es nichts angehen.
    Das Ganze erinnert ein wenig an den Wettlauf zwischen Hase und Igel, wobei die Verfassungsfeinde gegenwärtig noch die Hasen sind. Damit dies auch noch lange so bleibt, ist allerdings auch der verfassungsmäßige Souverän gefragt.
8. Seine Majestät: Das Volk
    Seine Majestät das Volk ist derzeit not amused. Da ist es kein Wunder, dass bei den Landtagswahlen längst die Nichtwähler die stärkste Gruppe stellen, 2008 in Niedersachsen zum Beispiel mit 43 Prozent (2002: 33 Prozent). Die strahlende Siegerin CDU (42,5 Prozent der
abgegebenen gültigen
Stimmen) erhielt nur 24,1 Prozent der Stimmen
aller
Wahlberechtigten, die SPD (30,3) 17,3, die FDP (8,2) 4,7, die Grünen (8,0) 4,6 und Partei Die Linke (7,1) nur 4,0 Prozent.
    Nicht viel besser sieht es im Bund aus, wo der Anteil der Nichtwähler von 9,9 Prozent im Jahr 1972 über 20,9 Prozent in 2002 auf 22,3 Prozent bei der Wahl 2005 stetig gestiegen ist und damit zuletzt unter allen Wahlberechtigten nur knapp hinter dem wirklichen Anteil von CDU/CSU (26,88 Prozent) und SPD (26,18) lag.
    Und dies war, wohlgemerkt, noch
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