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Die Dilettanten

Titel: Die Dilettanten
Autoren: Thomas Wieczorek
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dieses Systems. Je inkompetenter der Minister oder Staatssekretär (oder je größer sein Karriereknick), desto reibungsloser funktioniert er – ängstlich darauf bedacht, nicht als unfähig aufzufliegen und abserviert zu werden. Diese Spezies »Politiker« wäre in nahezu jedem anderen politischen System brauchbar. In der gerade zu Ende gehenden Ära des »Umbaus« des Sozialstaats hin zur (moral-)freien Marktwirtschaft betätigensich viele von ihnen als intellektuell äußerst genügsame Propagandisten. Obwohl Kritiker dem Neoliberalismus sowieso schon »einfaches Gedankengut« bescheinigen, würde man dennoch seine vollmundigsten Vertreter gern bei »Wer wird Millionär?« erleben: Könnten sie wenigstens die 50-Euro-Frage über den Unterschied zwischen Einkommen aus Arbeit und aus Kapital beantworten?
    Nun kann man sich über die zahllosen Marx-Arbeitskreise des Studentenverbandes SDS der Partei Die Linke lustig machen, aber wieso gibt es keine neoliberale Hayek-, Friedman- oder Pareto-Bewegung? Vielleicht, weil diese krude quasireligiöse Pseudoökonomie weder wissenschaftlich noch weltanschaulich irgendetwas hergibt?
    Und klingt nicht – selbst als Illusion – »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« irgendwie attraktiver als »Reichtum, Macht und Ruhm«?
    Die betrübliche Dilettantenschwemme in der Spitzenpolitik erfordert neben der Haftung eine weitere sofortige Konsequenz: Um wenigstens die größten Stümper und Scharlatane von wichtigen Posten fernzuhalten, dürfte ohne Mindestqualifikation oder Eignungsprüfung vor einer unabhängigen und gesellschaftlich anerkannten Kommission niemand mehr Fachverantwortung erhalten. Wieso macht man es nicht endlich wie die EU, wo die künftigen Kommissare den derzeit 785 Abgeordneten des Europaparlaments Rede und Antwort über ihre persönliche und fachliche Eignung stehen müssen? Kurzum: Die Forderung nach einer »Pisastudie für Politiker« muss schnellstens verwirklicht werden!
    Dies aber betrifft nur die reine Fachkompetenz. Würde man es aber dabei belassen und mit begnadeten Fachidioten zufrieden sein, so ginge man der neoliberalen Ideologie vom »wertfreien Sachzwang« auf den Leim.
2. Die neue alte Bedeutung von Kompetenz
    Die Neoliberalen haben unser Land und andere Regionen auf den Standort reduziert. Zu Deutschland oder Dänemark, Argentinien oder Zypern fällt ihnen nichts anderes ein als Staatsverschuldung, Lohnnebenkosten, Einkommensteuer oder Umlaufrendite.
    Durchschnittsbürger dagegen beurteilen ihre Heimat ebenso wie fremde Länder unter dem Aspekt der »Lebensqualität«: Französischer Charme und türkische Gastfreundschaft, italienische Großfamilie und mexikanische Herzlichkeit, südafrikanische Feierfreude und britische Höflichkeit, deutsche Gemütlichkeit sowieso. Und will man irgendwo hinziehen, geht es auch darum, wie man dort mit den Kindern und Alten, den Schülern und Studenten, den Kranken und Arbeitenden, den Arbeitslosen und sozial Schwächeren verfährt, es geht um grüne Innenstädte und Smog, um Tante-Emma-Läden und Spielplätze, um hektischen Lärm oder himmlische Ruhe, um verstopfte Straßen und Ausflugsziele.
    Kurzum: Es geht den meisten Bürgern letztlich nicht um Euro und Cent, sondern um Gebrauchswert und Qualität. Sie arbeiten und verdienen Geld, um davon zu leben, nicht umgekehrt. Der Neoliberale aber pervertiert die Sache: Er produziert und verkauft nur, was den meisten Profit bringt. Ihm – wie allerdings auch manchem unbescholtenen Kleinaktionär – ist es völlig wurscht, ob ein Unternehmen Tretautos oder Tretminen, Biokost oder Biowaffen produziert.
    Dass Lebensqualität erarbeitet und bezahlt sein will, versteht sich am Rande, aber zum einen sind national und global genug Ressourcen und Reichtümer vorhanden, und der Stand der Produktivität ermöglicht es, dass es auch künftig so sein wird. Zum anderen ist das Parlament durch die Verfassung nicht nurnicht daran gehindert, sondern sogar dazu verpflichtet, den gesellschaftlichen Reichtum gerecht zu verteilen. Selbst die Marktwirtschaftstheorie sagt ja, Leistung müsse sich lohnen.
    Aus alledem folgt: »Kompetenz« darf nicht länger als »wertfreie« Fähigkeit gelten, irgendwelche angeblich »alternativlosen Sachzwänge« kritiklos und willfährig zu erfüllen: Es ist eben nicht egal, ob ein begnadeter Chemiker einen Grippe-Impfstoff oder Giftgas entwickelt und ob ein brillanter Mechaniker einen Krankenwagen oder einen Kampfbomber flottmacht.
    Nun mag es
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