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Die Dilettanten

Titel: Die Dilettanten
Autoren: Thomas Wieczorek
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Schwarzgelder der Hessen-CDU und den Müllklüngel der NRW-SPD. »Abhängigkeit« bedeutet hier für die Politik, sich bei »krummen Dingern« nicht erwischen oder notfalls sie ganz bleiben zu lassen. Nun könnte man meinen,
Enthüllung
oder
Demagogie
seien eine Frage des Standpunktes. Aber nehmen wir die spektakuläre Rettung von Opel im Vergleich mit den Gefahren bei der Riester-Rente: Die Opel-Rettung kann man durch die simple Frage als symbolische Politik entlarven, ob für dasselbe Geld die Rettung Tausender Klein- und Mittelstandsbetriebe nicht mehr Arbeitsplätze gesichert und bessere Konjunkturimpulse gebracht hätte. Dagegen sind die Lücken bei der Riester-Rente auch mit tausend Ausreden nicht wegzudiskutieren. Im ersten Fall also machen sich die Medien mit der Politik gemein, und die »Abhängigkeit« der Politik von den Medien ist nur vorgetäuscht. Im zweiten Fall ist die Abhängigkeit echt: Politik dieser Art darf nicht ans Tageslicht kommen, sonst kostet sie Wählerstimmen.
6. »Opposition ist Mist« – Das ist Mist
    Münteferings Credo »Opposition ist Mist« wird von der Partei Die Linke mal mehr, mal weniger eindrucksvoll widerlegt. Ob Mindestlohn, Hartz-IV-Korrektur, Renteneintrittsalter oder Kriegseinsätze, schließlich sogar das Konjunkturprogramm: die große Mehrheit der Bevölkerung teilt die Forderungen von Lafontaine und Co., so dass die Regierung an vielen Punkten (zuvor strikt abgelehnte) Zugeständnisse machen muss. Besonders die SPD übernimmt häufig Positionen der Linkspartei, um die Mitglieder- und Wählerwanderung dorthin zu stoppen.
    Allerdings hat auch Die Linke – ähnlich wie der DGB – die Funktion, den »Volkszorn« in parlamentarische Bahnen zu lenken: Erst einmal in der Regierung, mutiert sie wie in Berlin bislang von der radikalen Kleine-Leute-Partei schlagartig zur handzahmen (wirtschaftsliberalen) »Sachzwangverwalterin« – Schröders Grüne lassen grüßen – und in der politischen Praxis zur Mehrheitsbeschafferin der SPD. In einer solchen Abrufposition allerdings erschöpft sich auch der derzeitige Einfluss von Grünen und FDP.
    Auf Deutsch: Je mehr eine Opposition nach der Regierungsmacht schielt, desto mehr schwindet ihr Einfluss. Aber ist das so erstaunlich? Nach einer interessanten These von Franz Walter 326 leitet zumindest in der Bundesrepublik ein Regierungswechsel nicht etwa neue Epochen ein, sondern schließt lediglich weit fortgeschrittene Prozesse ab:
    Um die Aussöhnung mit Polen und die Anerkennung der DDR, aber auch um Bildung für alle, Chancengleichheit, Universitätsreformen sowie staatliche Planung von Wirtschaft und Gesellschaft stritt man schon seit Mitte der sechziger Jahre.
    Als Willy Brandt dann Kanzler wurde, wich »der Zauber all der damaligen Beglückungsslogans wie Emanzipation, Demokratisierungund Partizipation« schon bald der Reformmüdigkeit und Ernüchterung. So begann die
geistigmoralische Wende
bereits 1973, als der Schlachtruf »Keine Experimente« wieder populärer wurde, als Reformen und die neoliberale Ideologie vom schlanken Staat und der freien Marktwirtschaft ihren Siegeszug antrat. Vor allem in den Bundesländern errangen Ultrakonservative wie Hans Filbinger, Franz Josef Strauß und Alfred Dregger triumphale Wahlerfolge. »Erst wechselte also der Zeitgeist, erst changierte das gesellschaftliche Klima, bis zuletzt die politische Wende in Bonn den Schlussakt dieses Prozesses markierte.«
    Als Helmut Kohl dann Kanzler wurde, gab es keinesfalls den erzreaktionären Erdrutsch. Vielmehr wurden die achtziger Jahre »zum schönsten Jahrzehnt rot-grüner Mentalitäten. In diesem Jahrzehnt legte sich das Land die vielen Fahrradwege zu, feierte noch unbekümmert multikulturelle Stadtteilfeste, demonstrierte für Frieden, gegen Umweltverschmutzung und staatlich oktroyierte Volksbefragungen, stellten etliche Kommunen und öffentliche Einrichtungen erstmals ganze Legionen von Gleichstellungs- beziehungsweise Frauenbeauftragten ein.«
    Als Schröder dann Kanzler wurde, waren auch diese sozialen und kulturellen Umwälzungen schon fast abgeschlossen. Bisherige Reizthemen wie Umweltschutz oder Gleichberechtigung für Frauen, Homosexuelle und Ausländer waren zumindest verbal einvernehmlich abgehakt. »Wie sonst«, fragt Walter, »hätte eine protestantische, geschiedene Frau in einer lange hochkonservativen, entschieden patriarchalischen, überwiegend katholisch geformten Partei zur ersten Kanzlerin aufsteigen können?« Stattdessen
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