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Die Dilettanten

Titel: Die Dilettanten
Autoren: Thomas Wieczorek
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Marktwirtschaft schreiben, die ihrerseits von der Werbeagentur
Scholz & Friends
betreut wird. Und im Vorwort (»Wir danken herzlich folgenden Persönlichkeiten, die an der Erarbeitung des vorliegenden Impulstextes mitgewirkt haben«) wird namentlich der INSM-Kuratoriumsvorsitzende und Wirtschaftsprofessor Hans Tietmeyer 322 genannt, der jüngst auch als Aufsichtsrat der Desasterbank Hypo Real Estate in Erscheinung trat und bezeichnenderweise als Leiter der Vatikanbank im Gespräch ist.
    Wenn sich die Kirchenführer also jetzt in ihrem Geifern gegen Gier, Spekulationswut und überhöhte Renditeziele förmlich überschlagen, dann kritisieren sie, was sie gerade eben noch selbst vertraten – und teilweise sogar praktizierten, wie an den 4,3 Milliarden Euro Zockerverlust der evangelischen Kirche zu sehen. Kein Wunder also, dass die Kirchen auf einmal gegen Raffgier sind.
    Deshalb weiß man nicht so recht, ob aus Bischof Huber der edle Christ oder der wütende Spekulant spricht, wenn er JosefAckermann persönlich attackiert und gegen die Erhebung des Geldes zum Gott, die Gier als »Form des Götzendienstes« und den »Tanz ums Goldene Kalb« wettert.
    Der Einfluss der Kirche – vor allem der katholischen – auf die Bevölkerung ist durchaus unterschiedlich: So schadet die Hetze mancher Bischöfe gegen Homosexuelle und Geschiedene weder einem Klaus Wowereit noch einer Angela Merkel, und auch die Ächtung von Pille und vorehelicher Sexualität ist unterhalb der bayerischen Hochalpen bedeutungslos.
    Etwas ganz anderes ist es, wenn sich die Kirche in bestehende sozialpolitische Prozesse und Konflikte einmischt, und erst recht, wenn sie dies auf der Seite der Armen und Schwachen tut und mit Argumenten, die jeder als Worte Christi im Neuen Testament nachlesen kann. Besonders wichtig ist kirchlicher Rückhalt nicht zuletzt für jene Unionspolitiker, die bei ihrem Eintreten für die »gute alte« Soziale Marktwirtschaft nicht selten als »Ewiggestrige«, »Gutmenschen« oder gar »Herz-Jesu-Sozialisten« gemobbt werden.
5. Ich bin in den Medien – also bin ich
    Da auch die wählerfreundlichste Politik nichts nutzt, wenn sie der Wähler nicht als solche erkennt und folglich der
Anschein
von Kompetenz wichtiger ist als echte Kompetenz, kommt den Medien im Kalkül eigennütziger Politiker eine Schlüsselstel-lung zu.
    Daher ist die von vornherein also selbstgewählte »Abhängigkeit von den Medien« identisch mit deren Einfluss auf die Wähler. Beides kann eingebildet, vorgetäuscht oder real sein.
    Eingebildet
ist der Einfluss der Medien häufiger, als man bei Politikern vermuten möchte. Vor allem das Flaggschiff des
Springer
-Verlags wird maßlos überschätzt. Meistens nämlich hat »Volkes Meinung« trotz grellster Schlagzeilen und »Ganz Deutschland«-Floskeln nicht viel mit der Meinung des Volkes zu tun. Nach Studien des
Zeit
-Autors und Medienforschers Kai-Hinrich Renner »ist der Einfluss, den die
Bild
-Zeitung auf die politische Meinungsbildung ihrer Leser hat, eher marginal. Wichtiger noch:
Bild
ist, wenn es um zentrale Fragen der Politik geht, nicht mehr kampagnenfähig.« 323 Würde zum Beispiel »Volkes Stimme« Mehrheiten und nicht nur den geistig-moralischen Bodensatz der Bevölkerung repräsentieren, so hätte es niemals eine rotgrüne Bundesregierung und erst recht keine rotrote Koalition in Berlin gegeben, dafür vermutlich deutsche Soldaten im Irak und mehr ausländische Jugendliche im Gefängnis. Überhaupt lässt schon die Unmenge an »Presserats-Rügen für
Bild«
erahnen, wie ein Deutschland nach den Vorstellungen des Blattes aussähe.
    Dennoch reagiert die Politik selbst auf völlig willkürlich vom Zaun gebrochene Themen (
Agenda setting
) oft in hektischem vorauseilendem Gehorsam. Egal, ob Kampfhunde, »Scheinasylanten« oder »Sozialschmarotzer« – wann immer die Gossenjournalie willkürlich irgendein, nicht selten volksverhetzendes Problem erfindet, reagiert die Politik in Windeseile mit irgendwelchen unausgegorenen Maßnahmen, Verordnungen oder Gesetzen: Sagenhafter Höhepunkt des peinlichen Schwachsinns war das Gesetz zu »Florida-Rolf«, das kaum 500 »Abzocker« betraf und überdies den Staat unterm Strich noch mehr kostete. Kein zivilisierter Bürger hatte den von
Bild
verordneten Wutschaum vor dem Mund, weil ein schwerkranker Rent-ner mit der monatlich aus Deutschland überwiesenen Sozialhilfe in Florida lebte – nur die braune Brut mit ihrem pathologischen Hass gegen sozial Schwächere
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