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Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben

Titel: Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben
Autoren: Monika Peetz
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wie von der Tarantel gestochen auf und machte einen
Schritt in Richtung Tür. Weiter kam sie nicht, denn genau in dieser Sekunde
löste sich ein drei Meter großes Stück Deckenplatte. Eine Tonne Baumaterial
krachte nieder und traf den Stuhl, auf dem Eva gerade noch gesessen hatte.

4
    »Sie ist doch sonst so
pünktlich«, wunderte sich Judith.
    Am Tag vor Reisebeginn
hatten sie sich zu dritt bei Estelle verabredet. In der Nähe der Heinemann’schen
Villa gab es ein exklusives Gartencenter, wo sie ein Geschenk für Kiki kaufen
wollten. Sobald Eva da war.
    »Vielleicht ein
Notfall«, klang Estelles Stimme dumpf aus dem begehbaren Kleiderschrank.
Während die Freundin mit der Auswahl der passenden Urlaubsgarderobe beschäftigt
war, brütete Judith über ihren Wahrsagekarten. Schauer jagten über ihren
Rücken. Das Blatt, das sie vor sich ausbreitete, verhieß nur Schlechtes für den
gemeinsamen Ausflug. In der obersten Reihe lagen die Karten, die für Reise,
Veränderung und Todesfall standen, direkt nebeneinander. Keine gute
Kombination. Judith schob die Karten auf Estelles Schminktisch zwischen
Kristallfläschchen, mit Strass besetzten Dosen und edlen Flakons hin und her.
Im vergoldeten Doppelspiegel konnte sie verfolgen, wie Estelle im Hintergrund
zum vierten Mal den Koffer für Birkow umpackte.
    »Versuchst du dich
immer noch als Hellseherin?«, fragte Estelle.
    »Ich glaube, der Mann
hat mir die Karten ganz bewusst zugespielt«, antwortete Judith. »Der wusste,
dass ich Talent habe. Ich muss nur begreifen, wie sie funktionieren.«
    Vor ein paar Wochen
hatte ihr ein Gast im Le Jardin eine Karte aus einem Wahrsageset hinterlassen.
Leider anstatt die Rechnung von 50,40   Euro zu begleichen. Zunächst war Judith wütend
auf den Zechpreller gewesen, der sie mit einem antiquierten Fleißkärtchen
abspeiste. Die Illustration stammte aus dem 19.   Jahrhundert und zeigte ein rotwangiges blondes
Mädchen im ordentlichen Schürzenkleid mit Rüschenunterrock und Schnürschuhen,
das ein Goldfischglas in Händen trug. Im Hintergrund wartete ein kleiner
Kavalier mit Blumenstrauß, in der rechten oberen Ecke stand »Nº17. Geschenk
bekom̄en«. Der Querstrich auf dem m deutete die Verdoppelung des Konsonanten
an. Dass es sich nicht um herkömmliche Fleißkärtchen handelte, entdeckte Judith
am nächsten Tag, als sie in ihrer esoterischen Stammbuchhandlung auf ein
mysteriöses Buch stieß. Du weißt mehr, als du denkst lautete der Titel. Auf dem Cover war dieselbe Karte abgebildet. Es war ein
Nachschlagewerk für den Gebrauch von biedermeierlichen Kipperkarten, mit denen
man die Zukunft vorhersagen konnte. Ihr vorgebliches Fleißkärtchen gehörte zu
einem Set von 36 nummerierten Wahrsagekarten, auf denen Ereignisse, Personen
oder Charaktereigenschaften abgebildet waren. Ähnlich wie beim Tarot sagte jede
Karte einzeln und auch als Teil einer Legekombination etwas über den
Fragesteller aus. Aufgeregt schlug sie die Bedeutung der zurückgelassenen Karte
nach: »›Nº17. Geschenk bekom̄en‹ steht für neue Arbeitsangebote außerhalb der
bisherigen Tätigkeit«, las sie. Judith verstand es als Zeichen und
Verpflichtung.
    Wie oft sah sie vor
ihrem inneren Auge Situationen vor sich, die Tage, Monate, manchmal Jahre
später passierten? Es waren leise Vorahnungen, schwache Bilder. Judith war nie
sicher, ob sie ihrer eigenen Intuition trauen konnte. Bis die Biedermeierkarten
ihren Weg zu ihr fanden. Wenn das Leben Sinn und Logik hatte, musste es
Instrumente geben, beides zu entschlüsseln. Judith war davon überzeugt, dass
die Karten ein wirkungsvolles Hilfsmittel sein konnten zu formulieren, was im
Innersten längst zum Abruf bereitlag und nur einen äußeren Anstoß brauchte, um
die Oberfläche des Bewusstseins zu erreichen.
    »Auch das werden wir
überleben«, hatte Caroline nüchtern konstatiert, als Judith die Kipperkarten
zum ersten Mal ins Le Jardin mitgebracht hatte. Judith nahm es gelassen. Es gab
Menschen, die spürten Regen auf ganz besondere Weise, andere, wie Caroline,
wurden einfach nur nass. Judith verstand es als ihre lebenslange Aufgabe, Caroline
und den Dienstagsfrauen den Zugang zu einer spirituellen Welt aufzuzeigen.
    »Kannst du deine Karten
fragen, wo Eva bleibt?«, erkundigte sich Estelle.
    Seit sie sich Judith an
jenem Dienstagabend im Le Jardin als Versuchsperson zur Verfügung gestellt
hatte, zweifelte Estelle, ob die Karten nicht doch eine Aussagekraft hatten.
    »Du bekommst ein Kind«,
hatte Judith
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