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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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Ruhestand, in dem sie ihre Träume nicht aufgeben müssen. In einem Fernsehspot des Finanzdienstleisters Ameriprise sagte der verstorbene Dennis Hopper: »Ich kann Sie mir einfach nicht beim Shuffleboard vorstellen. Wissen Sie, was ich meine?« Und dabei dröhnte im Hintergrund der dynamische Orgelriff aus dem klassischen Rockhit »Gimme Some Lovin’«, der schöne Erinnerungen an die Highschool weckt – ich liebe ihn.
    Doch dann las ich einen Artikel in der Washington Post , der andeutete, dass die Babyboomer sich in der Tat auf eine neue Art von Ruhestand einstellen müssen – weil sie zusammenbrechen. 1 Große landesweite Umfragen zeigen, dass sich 57 Prozent der vor dem Zweiten Weltkrieg geborenen Menschen, aber nur 50 Prozent der Babyboomer hervorragender Gesundheit erfreuen. Etwa 56 Prozent der vor dem Krieg Geborenen leiden nach eigenen Angaben beim Renteneintritt an einer chronischen Krankheit; bei den Babyboomern sind es im gleichen Alter rund 63 Prozent. Sind die Babyboomer etwa weniger gesund als ihre Eltern?
    Einige Wochen später nahm ich an einer Ärztekonferenz teil, bei der ein Kollege einen Zwischenbericht über das Programm »Gesunde Menschen 2010« des amerikanischen Bundesgesundheitsministeriums vorlegte. Damit will die US-Regierung sowohl die Länge als auch die Qualität des Lebens steigern. Die Länge des Lebens wurde anhand der durchschnittlichen Lebenserwartung der Amerikaner gemessen, die Lebensqualität anhand der durchschnittlichen Zahl der Jahre, in denen die Amerikaner ohne Krankheiten leben (zum Beispiel ohne Herzkrankheiten, Schlaganfälle, Krebs, Diabetes, Bluthochdruck oder Arthritis). Der Redner legte eine Tabelle mit Daten aus den Jahren 1999 bis 2002 vor. In diesem Zeitraum erhöhte sich die Lebenserwartung um etwa sechs Monate von 76,8 auf 77,2 Jahre. Überraschend aber war, dass die Zahl der krankheitsfreien Jahre gesunken war: von 48,7 auf 47,5 Jahre.
    Es schien, als sei das Programm nur ein halber Erfolg: Die Menschen lebten zwar länger, aber sie wurden früher krank. Das ist schwer zu glauben. Aber es gibt auch eine andere Erklärung: Wir leben länger und sind gesünder; aber wir bekommen öfter zu hören , wir seien krank.
    Vielleicht halten manche Leute die steigende Zahl von Diagnosen (und Behandlungen) für den Preis, den die meisten von uns für eine höhere Lebenserwartung bezahlen müssen. Sie unterstellen dabei, dass frühe Diagnosen und Therapien die einzige Erklärung für die höhere Lebenserwartung sind. Da andere Aspekte (Verzicht aufs Rauchen, Ernährung, Bewegung und medizinische Hilfe für Akutkranke) jedoch wichtiger sind, ist es wahrscheinlich, dass ein Großteil dieser höheren Lebenserwartung nicht von der Zahl der Diagnosen abhängt. Und da die Länge des Lebens für viele Menschen nicht das einzige Ziel ist, wird die Frage umso bedeutsamer, ob es am Gesundheitssystem liegt, wenn Krankheiten und Invalidität in der Bevölkerung häufiger vorkommen.
Der Zweck dieses Buches
    Meine Mutter glaubt zu wissen, worum es in diesem Buch geht. Sie ist fast neunzig Jahre alt und leidet an fortgeschrittener Demenz. Vor ein paar Monaten nahm sie mein erstes Buch in die Hand und las den Titel laut vor: »Should I Be Tested for Cancer?« (»Soll ich mich auf Krebs untersuchen lassen?«). Sie beantwortete diese Frage mit einem dröhnenden »Nein!« – womit sie den Inhalt des Buches auf krude Weise vereinfacht hat.
    Sie fragte mich, wovon mein nächstes Buch handle. Ich versuchte es ihr zu erklären. Sie schlug »Soll ich mich auf irgendetwas untersuchen lassen?« als Titel vor. Kein sehr treffender Titel, aber er vermittelt einen Eindruck von diesem Buch. Es untersucht nämlich, ob die amerikanische Medizin heute zu viele Menschen für »krank« erklärt.
    Wie bereits erwähnt, glauben die meisten Leute, mehr Diagnosen – vor allem mehr Frühdiagnosen – seien gleichbedeutend mit besserer Gesundheitsfürsorge. Die Argumentation lautet etwa so: Mehr Diagnosen bedeuten mehr Therapien, und mehr Therapien bedeuten mehr Gesundheit. Das mag auf einige Patienten zutreffen. Aber die Sache hat einen Haken: Mehr Diagnosen führen womöglich dazu, dass Gesunde sich verletzlicher und, paradoxerweise, weniger gesund fühlen. Mit anderen Worten: Übertriebenes Diagnostizieren kann bewirken, dass wir uns krank fühlen. Und mehr Diagnosen führen zu Therapieexzessen – gegen Probleme, die uns kaum oder gar nicht beeinträchtigen. Dagegen kann eine exzessive Therapie
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