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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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Sie nichts wissen möchten.)
    Diagnose: Zwangsstörung
    Na schön, ich gebe zu, dass ich mir eine gewisse dichterische Freiheit herausgenommen habe und glaube nicht, dass mir jemand die psychiatrischen Diagnosen tatsächlich gestellt hätte (zumindest niemand außerhalb meines engsten Familienkreises). Aber die ersten paar Diagnosen ließen sich durchaus und bereits nach einer genauen Befragung und einigen einfachen Messungen (Größe, Gewicht, Blutdruck) stellen. Weitere Diagnosen sind möglich, wenn ein Arzt mich einem von vielen möglichen Tests unterziehen würde. Selbst eine routinemäßige Blutuntersuchung – ein vollständiges Blut- und Elektrolytbild nebst Leberfunktionstest – erfordert mehr als zwanzig einzelne Messungen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ich mindestens einen abnormen Wert hätte.
    Und dann gibt es noch bildgebende Verfahren. Bei vielen Menschen sind auf Röntgenbildern »Anomalien« erkennbar. Würde ich mich röntgen lassen, wäre ich nicht überrascht, wenn ein kleiner Lungenknoten zu sehen wäre. Und es würde mich auch nicht wundern, wenn man bei einer Computertomografie eine Nierenzyste fände.
    Weitere Untersuchungen könnten noch mehr enthüllen. Eine Darmspiegelung würde vielleicht zeigen, dass ich Polypen habe – so wie etwa ein Drittel meiner Altersgenossen. Eine Prostatabiopsie könnte ein kleines Karzinom nachweisen – das viele Männer haben, selbst wenn ihr PSA-Test (die Abkürzung steht für »prostataspezifisches Antigen«) einen normalen Wert ergibt. Und man kann darauf wetten, dass mein Genom allerlei genetische Varianten enthält.
    Bleiben wir fair. Die meisten Ärzte würden kein bildgebendes Verfahren verordnen. Einige würden sogar auf den Routinebluttest verzichten. Trotzdem hätten mehrere dieser Diagnosen gestellt werden können.
    Ginge es mir mit diesen Diagnosen besser? Ich glaube nicht. Würde man mir Medikamente verschreiben? Wahrscheinlich. Würde ich das für gute Gesundheitsfürsorge halten? Eher für eine schlechte. Doch genug von mir. In diesem Buch geht es um die Millionen Amerikaner, die Zugang zur – wie manche behaupten – besten medizinischen Versorgung der Welt haben. Natürlich gibt es auch Millionen Amerikaner, die nicht versichert und daher erheblich schlechter versorgt sind. Das ist ein echtes Problem, aber nicht Thema dieses Buches. Die zuletzt Genannten sind von den hier beschriebenen Problemen sogar weniger betroffen, einfach weil sie seltener ärztlich betreut werden. Dieses Buch handelt von der unaufhaltsamen Expansion der Medizin und von unserer zunehmenden Neigung, Diagnosen zu stellen.
    Amerikaner werden dazu erzogen, sich Sorgen über ihre Gesundheit zu machen. In uns lauern verborgene Gefahren aller Art. Und es ist gängige Meinung, dass es besser ist, diese Gefahren zu kennen, damit man etwas dagegen unternehmen kann – je früher, desto besser. Deshalb sind wir so begeistert von den erstaunlichen medizinischen Techniken, die Anomalien selbst dann feststellen, wenn wir glauben, wir seien gesund. Darum freuen wir uns auch über die Aufdeckung von Risikofaktoren, Aufklärungskampagnen über Krankheiten, Krebsvorsorgeuntersuchungen und Gentests. Amerikaner lieben Diagnosen, vor allem frühe Diagnosen.
    Es überrascht nicht, dass wir heutzutage mehr Diagnosen bekommen als früher. Wir befinden uns sogar inmitten einer Diagnose-Epidemie. Und die meisten Leute finden das gut: Früherkennung rettet Leben, weil sie es uns ermöglicht, kleine Probleme zu beheben, ehe daraus große werden. Mehr noch, wir glauben, die Suche nach Problemen habe keine Nachteile.
    Aber die Wahrheit ist, dass die Früherkennung ein zweischneidiges Schwert ist. Sie kann zwar einigen Menschen helfen, aber sie bringt ein verstecktes Risiko mit sich: Überdiagnosen – das Aufspüren von Anomalien, die uns ihrer Natur nach nie beeinträchtigen würden.
Länger, aber kränker leben?
    Ich gehöre der Generation der Babyboomer an, die in der Zeit steigender Geburtenraten nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde. In den sechziger Jahren stellten sie sich an die Spitze wichtiger gesellschaftlicher Bewegungen, bei denen es um Bürgerrechte, Feminismus und den Protest gegen den Vietnamkrieg ging. Außerdem brachten sie die Gegenkultur jener Ära hervor: Sex, Drogen, Rock ’n’ Roll. Als sie älter wurden, bestimmten sie unsere Kultur: Sie errangen politische Macht und verdienten eine Menge Geld. Heute verspricht ihnen die Fernsehwerbung eine neue Art von
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