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Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Titel: Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
Autoren: Gernot Gricksch
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Sorten die teuerste, als würden wir damit irgendwie die Chance auf einen positiven Befund erhöhen. Dann schlenderten wir, zwischendurch immer wieder anhaltend und uns küssend, zum Schmidt’s .
    Bevor wir auch nur den Saal betraten, verschwand Susann mit dem Test und einem leeren Glas, das sie sich von einem am Eingang stehenden Kellner hatte geben lassen, in die Damentoilette, die vom Foyer abging. Ich griff mir vom Tresen ein Glas Sekt. Meine Hand zitterte.
    Ich war nicht der Einzige, der im Vorraum stand. Ein paar Schritte weiter lehnte Svens Vater am Tresen. Ich wartete hier auf die dramatische Beantwortung der Frage, ob ich bald Vater werden würde. Welchen Grund hatte wohl er , nicht in den Saal zu gehen, in dem die Feier im vollen Gange war und aus dem lauter, tanzbarer Folkrock dröhnte? Paddy goes to Holyhead  – Jörns Lieblingsband, und praktischerweise eine, die auch für Privatfeier-Engagements erschwinglich war.
    Ich ging zu Svens Vater hinüber, der wie ein Häufchen Elend dastand, hob das Glas und sagte: »Prost!« Er nahm sich ebenfalls ein Sektglas und stieß mit mir an. Mann, sah der Kerl unglücklich aus!
    »Alles okay?«, fragte ich.
    Franz sah mich an und zwang sich zu einem Lächeln. Es war eine seltsame Situation. Das letzte Mal, dass wir ein Wort miteinander gewechselt hatten, war, als ich vier Jahre alt war und er mich fragte, ob ich ein Stück Kuchen haben wolle. Und jetzt stand ich – gewachsen und gereift – neben ihm und erkundigte mich sorgenvoll nach seinem Wohlbefinden.
    »Es tut mir so Leid für Sven, dass seine Mutter nicht gekommen ist«, sagte er.
    Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, er würde meine Frage mit einem höflichen Ja, alles okay abtun, und ich wäre meiner Pflicht zur zwischenmenschlichen Aufmerksamkeit nachgekommen, ohne wirklich Beistand leisten zu müssen. Doch Franz, der einen leicht holländischen Akzent angenommen hatte, hatte sich entschlossen, mir sein Herz auszuschütten.
    »Es ist meine Schuld, weißt du«, sagte Franz. »Sie wäre gekommen, wenn ich nicht hier wäre.«
    »Sie hat ein Problem damit, dass Sven schwul ist«, sagte ich. »Ich glaube, Ihre Anwesenheit ist bloß eine willkommene Ausrede für sie, nicht hier erscheinen zu müssen.«
    Franz schüttelte den Kopf.
    » Sie sind hier«, sagte ich. »Wenigstens Sie sollten jetzt in Svens Nähe sein.«
    Und erstaunlicherweise nickte Franz da, klopfte mir mit der Hand auf die Schulter und ging in den Saal.
    Ich trank noch einen Schluck aus dem Sektglas, als Susann aus der Klotür stürzte. Sie schwenkte ein kleines Plastikdingsda und kreischte: »Lila! Es ist lila!«
    »Und das heißt, wir haben eine Tafel Milka -Schokolade gewonnen?«, fragte ich, um die unglaubliche Gefühlswallung, die in mir zu beben begann, mit einem Kalauer einzudämmen.
    »Das heißt«, schrie Susann, »dass wir schwanger sind!« Und dann fiel sie mir um den Hals! Ich ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, fegte dabei ein knappes Dutzend Gläser vom Tresen und ging dann trotzdem zu Boden. Und Susann fiel auf mich drauf! Wir küssten uns innig, als wir auf dem Boden lagen. Und wir lachten.
    Und küssten uns.
    Und lachten.
    Und küssten uns!
    Die Musik im Saal war verstummt. Wir erhoben uns vom Boden, immer noch lachend und strahlend, zupften unsere Klamotten zurecht und gingen zu den Feiernden.
    »… und so erhebe ich mein Glas auf die beiden Bräutigame«, sagte der Mann auf der Bühne, der mir vorhin als Jörns Vater vorgestellt worden war, ins Mikro. »Und wünsche ihnen eine lange, glückliche, gemeinsame Zeit!«
    Gläser klirrten, ein paar Leute applaudierten, einige Gäste riefen etwas. Jörns Vater sah sich suchend im Saal um, hielt die Hand über die Augen, weil ihn die Scheinwerfer blendeten. »Wo ist denn der Vater des anderen Bräutigams? Kommen Sie, Franz, ein Rede!« Die Gäste stimmten ein, johlten: »Eine Rede! Eine Rede!«
    Ich sah zu Franz hinüber, der neben Sven stand und dessen Gesicht blanke Panik widerspiegelte. Dieses Häufchen Elend würde dort oben, im Rampenlicht, mit einem Infarkt zusammenbrechen.
    »Eine Rede! Eine Rede!«, johlten die Gäste. Und Jörns Vater suchte immer noch das Publikum nach Franz ab. »Wo steckt Schwiegervater Nummer zwei?«, lachte er. Sven sah seinen Vater hilflos an, schüttelte nur den Kopf, während Franz angstvoll seine Augen aufriss. Um die Katastrophe perfekt zu machen, strahlte ihn jetzt auch noch ein Scheinwerfer an, und alle Blicke wandten
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