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Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)

Titel: Die denkwürdige Geschichte der Kirschkernspuckerbande (German Edition)
Autoren: Gernot Gricksch
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Loch versenkt werden. Und all meine Fragen werde ich auf ewig für mich behalten müssen. Der Trost, den ich hätte spenden können, wird in mir eingesperrt bleiben. Und ich werde damit leben müssen, dass vieles, woran ich geglaubt habe, eine Illusion war. In diesem Sarg liegt ein Mensch, den ich für meinen Freund hielt. Doch ich war nicht Freund genug, um das Wesen seines Geheimnisses zu erkennen. Ich habe nicht einmal geahnt, dass er überhaupt ein Geheimnis mit sich herumtrug. Ein Geheimnis, das ihn schließlich umgebracht hat.
    Die anderen stehen neben mir. Keiner von ihnen weint, aber ich weiß, dass sie alle den selben Schmerz empfinden. Es tut weh, einen Teil seiner Träume begraben zu müssen.
    Ich hole eine kleine, zerknitterte Tüte aus meiner Jackentasche. Als ich sie öffne, knistert es ziemlich, und ich merke, wie der Pastor, obwohl er immer weiterredet, kurz aufschaut. Ich nehme ein paar Kirschen heraus, die ich heute Morgen extra noch besorgt habe, und gebe jedem meiner Freunde um mich herum eine.
    Die anderen sind erst ein wenig überrascht, doch dann begreifen sie. Wir grinsen schief, als wir uns die Kirschen in den Mund stecken. Der Pastor wirft uns einen missbilligenden Blick zu . Jetzt fangen die schon an, bei Beerdigungen kleine Snacks zu verteilen , denkt er vermutlich.
    Als die sinnlose Rede endlich zu Ende ist, lassen zwei Männer den Sarg in das Grab hinab. Wir sehen uns an, nicken, und gehen dann alle gleichzeitig an den Rand der Grube. Den kleinen Kübel mit Sand, in dem eine Schaufel steckt, ignorieren wir. Wir werden Bernhard nicht mit Dreck beschmeißen. Stattdessen legen wir alle gleichzeitig, als hätten wir’s wochenlang geübt, den Kopf zurück. Und dann spucken wir, in hohem Bogen, unsere Kirschkerne in das Grab. Der Pastor funkelt uns mit wütenden Augen an.
    Doch was weiß der schon!

    Susann und ich gehen die Wege des Ohlsdorfer Friedhofs entlang. Von den anderen haben wir uns verabschiedet, wir haben uns alle umarmt, geküsst. Wir haben kaum geredet.
    Jetzt schreite ich mit Susann, Arm in Arm, eine fast endlose Folge von Gräbern ab. Unter jedem Grabstein liegt eine Geschichte, manchmal vielleicht sogar ein Schicksal wie Bernhards.
    »Vielleicht sind wir die Helden«, sage ich plötzlich zu Susann. »Bernhard hat aufgegeben, weil ihn das Leben ums Verrecken nicht anlächeln mochte. Er hat sich nach Indien geträumt, nach Afrika – so weit weg wie möglich von der kleinen Hölle des Alltags. Die schien ihm unbezwingbar. Doch was ist mit Sven? Der hat auch viel ertragen müssen, doch der ist nicht geflohen. Er hat gekämpft und sich am Ende selbst gerettet!«
    Susann sagt nichts.
    »Und Dille und Petra?«, fahre ich fort. »Die führen immer noch jeden Tag Krieg für ihre Liebe. Die könnten doch auch einfach aussteigen, den Ausweg ins Mittelmaß nehmen. Aber sie geben nicht auf. Und du und ich?«
    Susann drückt sich an mich.
    »Wir haben uns . Wir haben Nele. Und es war weiß Gott ein harter Weg dahin.« Ich grinse: »Und ich werde übrigens auch so lange weiterkämpfen, bis du mich endlich heiratest!«
    Susann lacht.
    »Vielleicht sind wir alle Helden«, murmele ich.
    »Vielleicht solltest du darüber ein Buch schreiben«, schlägt Susann vor. »Über uns Helden.«
    Wir gehen eine Weile schweigend nebeneinander.
    »Ja«, sage ich schließlich, »vielleicht sollte ich das tun.«

Danksagung
    Obwohl die Geschichte der Kirschkernspuckerbande frei erfunden ist und ich Wert auf die Feststellung lege, dass keine der Hauptfiguren von einer realen Person inspiriert wurde, so gibt es doch einige Absätze, Beobachtungen und Randfiguren, die ich direkt aus der Wirklichkeit zwischen die Buchdeckel gezerrt habe. So wie die Kindergärtnerin Frau Mastenfeld (die in der Realität natürlich anders hieß), der alte Mann, der die Kinofreikarten verloste, und die Erbsen auf dem Kinderteller. Ich danke deshalb allen entsprechenden Leuten (und Erbsen), die irgendwann einmal meinen Weg gekreuzt, sich dabei in mein Gedächtnis eingebrannt und dieses Buch somit vielleicht einen Tick lebendiger gemacht haben.
    Ich danke außerdem meinem hoch geschätzten Lektor Timothy Sonderhüsken, der auch diesmal wieder viele wertvolle Ideen hatte und mit dem es wirklich Spaß macht zusammenzuarbeiten. Ich danke beim Knaur-Verlag auch der engagierten Iris Bauer sowie der emsigen Barbara Plückhahn, die zweifelsohne eine Klasse für sich ist.
    Vielen lieben Dank auch meinen Eltern fürs dänische Schreibasyl
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