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Die Dame aus Potsdam

Titel: Die Dame aus Potsdam
Autoren: Georg R. Kristan
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Silke Marino ihren Auftritt hatte.
    Die Blicke der beiden Frauen kreuzten sich. Jede wußte, daß die andere sie erkannt hatte. Das beiderseitige Lächeln ging in dem Hallo unter, mit dem die letzten Gäste begrüßt wurden. Silke Marino war sich ihrer Wirkung bewußt und ging betont langsam bis zur Rückbank.
    Beate Randolf stellte überrascht fest, daß sie froh war über die Abwesenheit ihres Mannes. Valentin hätte bestimmt versucht, seinen Platz zu tauschen, um an Silkes Seite zu gelangen. Doch er war nach der Rückkehr aus Moskau nur kurz zu Hause gewesen und schon wieder unterwegs. Er müsse sich um ein paar dringende Geschäft kümmern, hatte er gesagt – mehr nicht.
    »Meine Damen und Herren, wir sind jetzt komplett und gehen auf Strecke«, kam die Stimme des Vorsitzenden des Bonn-Zirkels über den Lautsprecher. »Wir haben sieben bis acht Stunden Fahrt vor uns. Aber in diesem phantastischen Fahrzeug – echte deutsche Wertarbeit – werden wir es schon aushalten können. Wir machen die erste Pause gleich nach der früheren Grenzübergangsstelle in Helmstedt. Danach werden wir in Höhe der Porta Westfalica Gelegenheit zu einem Imbiß haben. Dann noch einmal eine kurze Pause in Remscheid, und weiter geht’s bis Bonn, wo uns die Vertreter der Stadt und einige Freunde vom Potsdam-Kreis erwarten. Dank unseres großzügigen Sponsors sind wir diesmal im Hotel Topas an der Poppeisdorf er Allee untergebracht.« Beifall kam auf. »Und nun gebe ich für eine Weile Musik vom Band über die Lautsprecher, damit die Fahrt angenehm beginnt. Entspannen Sie sich.«
    Beate Randolf hatte den Kopf zurückgelehnt und dachte an die Zeit vor der Wende, als das Ministerium für Staatssicherheit auch Frauen zu motivieren wußte, »mit Leib und Leben« den Feind durch die Gunst der Liebe auf die Arbeit für den Sozialismus einzuschwören. So wie einsame Bonner Ministerialsekretärinnen durch die zarten Bande eines MfS-Romeo von der Notwendigkeit geheimdienstlicher Mitarbeit überzeugt worden Waren, so hatte sich auch mancher Topmann durch eine MfS-Julia um den Verstand bringen lassen. Und manche Julia, die mehr Gefühl, als gut war, investiert hatte, mußte mit tiefen Depressionen fertig werden, wenn ihr Auftrag erfüllt war und sie für weitere Einsätze im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Verkehr gezogen wurde.
    Auch Beate hatte das Tal der Tränen durchschreiten müssen, als der oppositionelle Dozent und Elektronikspezialist der Humboldt-Universität Berlin endgültig für den subversiven Einsatz bei der Ständigen Vertretung in Bonn gewonnen war. Sie wäre ihm bedingungslos an jeden Ort der Welt gefolgt, doch die »Firma« wollte es nicht. Und wie stark und gefährlich deren Arm auch jenseits der Friedensgrenze war, wußte sie. Wer nicht spurte, wurde »traktiert«, und das konnte schon mal mit einem Unfall tödlich enden. So hatte sie Abschied nehmen müssen von der Liebe ihres Lebens. Doch am Samstag abend würde sie Bernd Kalisch wiedersehen.
    Aus dem Lautsprecher klang »Lonely Heart«. Beate schloß die Augen und hing ihren Gedanken nach. Nie war ihr klargeworden, welche Rolle Silke Marino in der Firma gespielt hatte. In der Hauptverwaltung Aufklärung schien sie nicht integriert gewesen zu sein. Auch wenn Valentin sich früher in dienstlichen Angelegenheiten bedeckt gehalten hatte – Beate hätte doch im Laufe ihrer allerdings kurzen Ehe mit ihm davon erfahren, wenn er auch Silkes Führungsoffizier gewesen wäre. Immerhin gehörte Silke vor der Wende zu den kulturellen Reisekadern und durfte sich vorübergehend im westlichen Ausland aufhalten.
    Nur wenige Insider hatten gewußt, wer mit welchem Auftrag betraut worden war. Silke Marino mußte zumindest eine IME gewesen sein, also eine Inoffizielle Mitarbeiterin für besondere Einsätze, denn sonst hätte sie sich dem Genossen Oberst Valentin nicht als Gespielin andienen dürfen. Wahrscheinlich kam sie von der Hauptabteilung II – Abwehr – oder aus der HA XX, wo in den letzten Jahren die Spitzel wie Spargel aus dem Boden geschossen waren. Valentin, der alte Fuchs, hatte Silke aber in und auf sein Lager gezogen. Dem stand seine Ehe mit Beate nicht entgegen. Diese Ehe war ohnehin nur eine Formsache, die deutlich machen sollte, daß man im Pressionsapparat keinen eigenen Willen haben durfte. Aber was war nach der Wende von all den Beziehungen und Verpflichtungen geblieben? Stand Silke immer noch im Dienst der Untergrundkrake? Warum saß sie mit im Bus, der nach Bonn fuhr?
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