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Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen

Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen

Titel: Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen
Autoren: Jan Barbara u Heidtmann Nolte
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der Betriebswirtschaft wirklichkeitsfremd?
    Gute Leute begreifen, dass Theorien und Modelle in der Regel nur ein schwaches Abbild der Praxis, nur Hilfskonstruktionen für die Entscheidungsfindung sind. Sie können zehntausend Mal ausrechnen, was das Vernünftigste ist. Wenn das Modell immer zutreffen würde und Sie richtig gerechnet hätten, könnte es ja keine Verluste und keine Fehler mehr geben. Nehmen Sie die Fusion von Daimler und Chrysler …
    … die Sie als Investmentbanker maßgeblich begleitet haben.
    Analytisch gesehen eine tolle Sache: Präsenz im US -Markt mit dem einzig realistisch verfügbaren Partner, gute Ergänzung, viele mögliche Synergien, technische Umsetzung der Transaktion gut gelaufen. Trotzdem haben sich die vorher gemachten Pläne und Berechnungen nicht realisiert. Die Möglichkeit des Scheiterns läuft deshalb in komplexen Situationen immer mit. Das führt dazu, dass man sich vielfach über Modelle hinwegsetzt beziehungsweise hinwegsetzen muss und dem sogenannten Gefühl vertraut. Natürlich kann man argumentieren, was Sie Gefühl nennen, ist nichts anderes als das Resultat unendlich vieler Einflussfaktoren.
    Vielleicht gehen in dieses Gefühl mehr Einflussfaktoren ein als in ein Modell.
    Dann ist einfach das Modell nicht gut genug. In der Realität müssen Sie also die Unvollkommenheit von Modellen ständig berücksichtigen. Eine Erkenntnis, die gerade die letzten ökonomischen Krisen nochmals bestätigt haben.
    Sie sagten, Gefühl sei nur der Ausdruck verschiedenster Einflussfaktoren. Steckt dahinter die Vorstellung, man könne jede Form der Emotionalität operationalisieren?
    Emotionalität ist ein morphologisches Korrelat: elektrische Entladungen von Nervenzellen in bestimmten Hirnregionen. Wenn man einen spezifischen Bereich in Ihrem Gehirn stimuliert, kann man Sie plötzlich weinen lassen. Ist das dann ein Gefühl? Nein, es ist eine Reaktion auf bestimmte Einflüsse, die wir im täglichen Leben nicht hinreichend genau definieren und voneinander unterscheiden können, deswegen nennen wir es Emotionalität. Ebenso lässt sich vieles, was man als Krankheit bezeichnet, auf bestimmte morphologische Prozesse und Einflussfaktoren zurückführen. Aber wo fängt der Krankheitsbegriff an und wo hört er auf? Viele Leute sind neurotisch, und sie kommen ganz gut durch die Welt als Neurotiker. Andere fühlen sich krank, auch wiederum auf Grund von anderen Einflussfaktoren.
    Uns geht es um die Frage, ob Sie glauben, im Kern sei alles berechenbar, wir können es nur noch nicht berechnen?
    Damit beschäftige ich mich viel. Da kommt man schnell zur Frage, ob es etwas Metaphysisches gibt. Ich bin im Kern – weil es sich schöner rechnet – eher ein Anhänger des mechanistischen Menschen- und Weltbildes.
    Das beruhigt Sie: dass im Kern alles berechenbar ist?
    Nein, in der Konsequenz finde ich es eher beunruhigend. Weil es so keine menschliche Freiheit mehr gibt. Dann treffe nicht ich die Entscheidung, nach rechts oder links zu gehen, sondern sie resultiert aus Myriaden von Einflussfaktoren. In 10 000 Jahren kann man womöglich genau in Abhängigkeit von diesem Faktoren bestimmen, wohin ich gehe. Wenn der Mensch letztlich und zugespitzt ausgedrückt nur die Marionette dieser Einflussfaktoren ist, dabei mögen sowohl Umwelt als auch Gene eine Rolle spielen, erübrigen sich die Begriffe der Freiheit und Verantwortlichkeit.
    Fehlende Verantwortlichkeit wird häufig als Ursache der Finanzkrise genannt.
    Wie jeder Banker bin ich mir meiner Verantwortung nicht nur für meine Mitarbeiter und Klienten, sondern auch für die Stabilität des Systems, von dessen Funktionsfähigkeit wir leben, sehr bewusst. Oft wird als Ursache der Finanzkrise eine diesem System immanente Verantwortungslosigkeit speziell der Investmentbanker genannt.
    Präsident Barack Obama sagte: Das Investmentbanking sei »eine Kultur, in der einige Leute enorm viel Geld damit verdienen, dass sie die gesamte Wirtschaft aufs Spiel setzen«.
    Barack Obama hat mit diesem Statement auf einen konkreten Fall reagiert. Soweit ich mich erinnere, ging es um die Bestellung eines neuen Firmenjets, nachdem eine Bank gerade mit den Mitteln des Staates stabilisiert worden war. Genauso wie wir in dieser zweifelsohne schweren Krise nicht der Versuchung anheim fallen sollten, die Systemauswirkungen unseres Handelns kleinzureden, sollten wir es vermeiden, Einzelfälle zum Beleg für die Verwerflichkeit des ganzen Systems zu nehmen. Über viele Jahre war und ist
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