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Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen

Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen

Titel: Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen
Autoren: Jan Barbara u Heidtmann Nolte
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handlungsorientierte und weniger um eine abstrakte Tätigkeit. In beiden Berufen können Sie die Folgen Ihres Tuns unmittelbar beobachten und ihren Beitrag abschätzen beziehungsweise bewerten. Wenn Sie zum Beispiel eine Platzwunde zunähen, dann ist die Wunde zu, und Sie haben dazu unmittelbar und sichtbar beigetragen. Wenn Sie diesen oder jenen Unternehmensteil verkaufen, dann sind Sie ursächlich mitverantwortlich für die Transaktion.
    Ihnen geht es ums Handeln, darum, etwas zu Ende zu bringen …
    … ein Resultat zu sehen, das ist doch eine Belohnung …
    … schnell und oft …
    … direkt und oft. Ich würde die Geschwindigkeit nicht überbetonen. Es geht mir dann schon eher um die Unmittelbarkeit und die Direktheit unserer Handlungen. Allerdings, so belohnend dies sein kann, so bestrafend ist es auch, wenn Sie feststellen, dass Sie etwas nicht richtig eingeschätzt bzw. falsch gemacht haben.
    In der Medizin sieht man die Wahrheit. Die Menschen sind am Ende alle ausgezogen. In der Wirtschaft dagegen maskiert man sich, verschleiert seine Bedürfnisse. Man muss listig sein.
    Die Wirtschaft ist kein großes Theater, kein potemkinsches Dorf, wie Sie insinuieren. Sicherlich gibt es in der Wirtschaft, wie in der Medizin, Schauspieler oder Simulanten. Es gibt andererseits auch in der Wirtschaft wahrhaftige Menschen, die sagen: »Ich habe mich verschuldet, es besteht die Gefahr, dass ich pleite gehe.« Der Unterschied zwischen Wirtschaft und Medizin liegt jedoch in der unterschiedlichen Unmittelbarkeit der Konsequenzen des Handelns: Zu Ende gedacht, geht es in der Medizin um die physische Existenz eines Menschen, um Leben und Tod, wenn Sie so wollen. Eine verheerende Entscheidung im Wirtschaftsleben mag eine Transaktion oder schlimmstenfalls sogar ein Unternehmen scheitern lassen – Ihr Leben, Ihre physische Existenz ist dadurch noch lange nicht bedroht. Das ist schon ein großer Unterschied.
    In einem Interview beschrieben Sie einmal ein prägendes Erlebnis: Den Moment, als ein Kind bei einer Operation verstarb und Sie das den Eltern sagen mussten.
    Ohne Zweifel, wenn Sie bei einem verzweifelten Versuch, ein bei einem Autounfall verletztes Kind mit einer Notoperation zu retten, letztendlich nicht erfolgreich sind und dies dann den mittlerweile im Gang wartenden Eltern mitteilen müssen, erfahren Sie sehr unmittelbar, wie relativ doch die eigene manchmal als wichtig empfundene Rolle ist.
    Arzt zu sein, ist ein sehr emotionaler Beruf.
    Was heißt das? Auch in der Medizin darf die Emotion nicht die sachgerechte Entscheidung überschatten. Wenn Sie mit jedem Patienten mitfiebern, dann geht Ihnen das sehr schnell an die eigene Substanz.
    In der Wirtschaft kommt Emotionalität nur in einer kanalisierten Weise vor. Wenn etwas gelungen ist, heißt es zum Beispiel: »Wir machen jetzt aber mal eine Flasche Sekt auf.«
    Nein, nein. Aber die Becker-Faust, die gibt es bei uns schon ab und zu.
    Das ist doch eine Siegerpose, zudem aggressiv: eine Faust.
    Glaube ich eher nicht. Einfach ein Zeichen für Freude, dass etwas gelungen ist. Oder besser: dass etwas gut läuft. So wird ja oft Glück beschrieben, dass man ein sogenanntes Flow-Gefühl empfindet.
    Was heißt Flow-Gefühl?
    Es kommen zwanzig Entscheidungen auf einen zu, alles klappt, man ist mit sich und der Welt im Reinen. Eine Art schnelles Gleiten. Wie beim Riesenslalom, da merkt man auch: ist es verstöpselt, oder geht es rhythmisch dahin?
    Hatten Sie das Gefühl auch als Arzt?
    Nein. Das lag auch am Grad der Fremdbestimmung: Im universitären Medizinsystem entscheidet zuvorderst Ihr Chef über Ihr Karrierefortkommen, indem er Sie auf das Operationsprogramm schreibt oder auch nicht und damit darüber entscheidet, ob und wie schnell Sie Ihren Facharzt machen können. Die Kriterien dafür sind nicht immer transparent. Jedes Kreiskrankenhaus möchte doch einen habilitierten Professor als Chef haben, obwohl das nichts damit zu tun hat, ob er ein guter Operateur ist, sondern ob er ein Jahr für wissenschaftliche Laborexperimente freigestellt war, was eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Habilitation ist. Ich übertreibe sicher ein bisschen. Ich arbeitete zum Schluss auf einer herzchirurgischen Frauenstation. Täglich zunächst Stationsvisite, dann sechs Stunden Assistenz im OP , in der Hoffnung oder der Angst, je nachdem, dass man vom Chef aufgefordert wird, einen Teil der OP selbst zu übernehmen: Klappe, Bypass, Klappe, Bypass. Anschließend: Raus aus dem OP ,
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