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Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen

Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen

Titel: Die da oben - Innenansichten aus deutschen Chefetagen
Autoren: Jan Barbara u Heidtmann Nolte
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Intensivstation-Visite und dann nochmals auf der eigenen Station nach dem Rechten sehen. Damals war ich Mitte 20 . Ich konnte mir nicht vorstellen, das die nächsten 20 Jahre ohne wesentliche Änderungen zu machen. Kürzlich war ich bei der Emeritierung eines meiner damaligen Chefs. Da hat sich leider nichts oder nur wenig geändert. Ich wollte da raus, wenigstens für ein Jahr, um etwas anderes zu erleben.
    Sie haben schon nach drei Jahren den Beruf gewechselt.
    Ja, angeregt durch eine Diskussion mit einem meiner ehemaligen Mitstipendiaten in der Studienstiftung fand ich einen Artikel im manager-magazin , der hieß so irgendwie: »McKinsey. Die Elite«, und er beschrieb die Aufgabe eines Consultants. Das klang interessant. Ich habe einfach eine Bewerbung hingeschickt, die habe ich heute noch. Mit Tippfehlern ohne Ende, peinlich. Ich wundere mich immer noch, dass die mich genommen haben. Mittwochs habe ich dann im Nachtdienst meinen letzten Blinddarm operiert, und montags bin ich von McKinsey zum Pharmaunternehmen Novartis, damals noch Sandoz, geschickt worden, um auf einem Reorganisierungsprojekt mitzuarbeiten.
    Hatten Sie Grundkenntnisse in Betriebswirtschaft oder braucht man die als Unternehmensberater gar nicht?
    Doch, und das war mein Problem: Ich hatte sie nicht. Ich kann mich noch an meine erste Aufgabe erinnern. Die sagten: »Wir haben das Gefühl, dass wir zu viele Stabsstellen haben. Hier haben Sie einen Stapel Organigramme, Herr Dibelius, jetzt zählen Sie mal die Stabsstellen aus.« Ich wusste aber leider nicht, wie man auf einem Organigramm die Stabsstellen erkennt. Das war bitter, und dementsprechend ist die Analyse auch ausgefallen. Aber ich wusste: »Ich möchte nicht scheitern.« Also habe ich einfach meine Anstrengungen erhöht, um die Defizite auszugleichen. Und wenn das nicht gereicht hat, habe ich sie noch einmal verdoppelt. Daher kommt das Vorurteil, das ich manchmal über mich lese: Der ist getrieben.
    So werden Sie tatsächlich oft geschildert.
    Damals sicher mit einer gewissen Berechtigung. Ich hatte mich in meiner Ausbildung und in den ersten Berufsjahren daran gewöhnt, mit an der Leistungsspitze zu stehen. Plötzlich war ich in der Hierarchie der Ivy-League- MBA -Absolventen bei McKinsey ganz unten. Das Schlimmste an meiner Ahnungslosigkeit war, dass ich kein getestetes Prioritätenraster hatte und mein gesamtes Koordinatensystem rekalibrieren musste. Ich hatte keine oder wenige Anhaltspunkte, zu entscheiden, was dringlich war und was weniger. Vielleicht war es dementsprechend ein natürlicher Reflex, dieses Manko überkompensieren zu wollen. Der typische Insecure-Over-Achiever eben …
    … also der unsichere Übererfüller, wie das im Management-Jargon heißt …
    Irgendwie hat es niemand gemerkt, vielleicht ist es auch ein zielführender Antrieb. Zumindest bin ich relativ zügig durch die McKinsey-Hierarchien zum Partner befördert worden.
    Wurden Sie mal gecoacht?
    Ganz am Anfang durch eine Kollegin, die mir eine kleine Stilberatung angedeihen ließ, als ich mit kariertem Sakko und weißen OP -Socken auftauchte. Später dann durch einige ältere Partner, die mir geholfen haben, meine Schwächen zu adressieren und meine Stärken richtig einzusetzen. McKinsey ist eine tolle Organisation. Ich habe dort eine ganz neue Sozialisation erlebt, und meine Art zu denken hat sich geändert.
    Lassen Sie sich heute noch beraten – zum Beispiel von Ihrer Frau?
    In Fragen des richtigen menschlichen Umgangs miteinander bleibt das nicht aus. Wenn man bei Tisch permanent Blackberry-Messages schreibt, lernt man von seiner Frau relativ schnell, dass das eine Missachtung des Gegenübers ist. Aber auch der eine oder andere Realitätscheck ist hilfreich. Wir arbeiten im Investmentbanking in einer normierten Art der Entscheidungsfindung: Analyse, Optionen aufstellen, Optionen bewerten und dann die prioritäre Option durchsetzen. Ein deduktiver Prozess. Wenn Sie aber mit Ihrer Frau einfach mal über irgendein Thema diskutieren, fahren Sie mit dieser Deduktion schnell gegen die Wand. Von der eigenen Frau, aber auch aus dem sozialen Nichtbusiness-Umfeld lernt man, dass sich Entscheidungen nicht immer nur deduktiv und strukturiert treffen lassen, sondern auch aus einer chaotischen Vielschichtigkeit heraus entstehen können; und diese Entscheidungen sind nicht notwendigerweise schlechter.
    Die Wirtschaft ist auch Teil der normalen Welt mit ihrer chaotischen Vielschichtigkeit. Vielleicht sind die linearen Theorien
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