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Die Clans von Stratos

Die Clans von Stratos

Titel: Die Clans von Stratos
Autoren: David Brin
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schneller… bis Maia den Bann mit einem einzigen Gedanken brach:
    Was wäre, wenn Leie jetzt zurückkäme und mich in diesem Zustand vorfände?
    Das war schlimmer als alles, was die Welt da draußen zu bieten hatte! Maia lachte ein wenig zittrig, löste sich aus der Erstarrung und hob die Hand, um sich die Augen zu reiben. Ich bin ja auch nicht ganz allein da draußen. Lysos hilft mir, und ich habe Leie.
    Jetzt endlich wandte sie ihre Aufmerksamkeit der glänzenden Schere auf dem Nachttisch zu. Leie hatte sie dort stecken lassen, sozusagen als Herausforderung. Würde Maia demütig vor der Matriarchin des Clans niederknien, die guten Ratschläge, den Segenskuß und den rituellen Haarschnitt über sich ergehen lassen? Oder würde sie kühn von dannen ziehen, ohne um ein scheinheiliges Lebewohl zu flehen?
    Ironischerweise zögerte Maia aus rein praktischen Erwägungen.
    Ohne Zopf gibt es kein Frühstück in der Küche.
    Sie mußte beide Hände zu Hilfe nehmen, um die Schere aus dem narbigen Holz zu ziehen. Im Morgenlicht, das durch den Fensterladen fiel, drehte sie die Klingen hin und her.
    Dann lachte sie. Die Entscheidung war gefallen.
     
    Selbst Winterkinder waren selten absolut identisch. Und um die wenigen Sommerzwillinge wie Maia und Leie auseinanderzuhalten, brauchte man ein aufmerksames Auge. Zum einen waren sie Spiegelzwillinge. Während Maia einen winzigen Leberfleck auf der rechten Wange hatte, war er bei Leie auf der linken. Ihr Scheitel fiel auf entgegengesetzten Seiten. Maia war Rechtshänderin, Leie allerdings behauptete, linkshändig zu sein – wie sie –, wäre ein sicheres Anzeichen, daß ihr eine große Zukunft bevorstand. Dennoch hatte die Priesterin sie genau überprüft. Denn sie besaßen dieselben Gene.
    Schon sehr früh waren sie auf den Gedanken gekommen, diesen Umstand zu ihrem Vorteil zu nutzen.
    Doch ihr Plan hatte gewisse Grenzen. Bei den Savanten – dem Gelehrtenstand – würden sie wohl kaum mit ihm durchkommen, auch nicht bei den vornehmen Handelshäusern des Landungskontinents, wo die reichen Clans noch immer den Datenzauber des Alten Netzwerks benutzten. Deshalb hatten Maia und Leie beschlossen, eine Zeitlang bei den Matrosen und Fischern auf See zu bleiben, bis sie eine ländliche Siedlung fanden, wo die Mütter leichtgläubig und die männlichen Besucher eher wortkarg waren und nicht soviel klatschten – bärtige Kretins, die auf dem Parthenia-Meer kreuzten.
    Lysos möge uns erhören. Rasch zupfte Maia sich am Ohrläppchen, die traditionelle Gebärde, die Glück bringen sollte, und schleppte dann ihr Gepäck weiter die gewundene, von Generationen kleiner und großer Füße ausgetretene Hintertreppe der lamaianischen Sommerkinderkrippe hinunter. An jedem Fensterschlitz strich ein kühler Windstoß über ihren nun nackten Nacken, wodurch sie das unangenehme Gefühl bekam, jemand würde ihr folgen. Die Leinentasche war schwer, und Maia hegte den Verdacht, daß ihre Schwester hinter ihrem Rücken etwas zusätzlich hineingeschmuggelt hatte. Hätten sie die Zöpfe noch eine Stunde behalten, hätten ihre Mütter wahrscheinlich einen Lugar gerufen, der ihnen ihre Habseligkeiten zum Dock trug. Aber Leie behauptete, man würde verweichlicht, wenn man sich auf die Lugars verließ, und damit hatte sie sicher recht. Auf hoher See würde es auch keine von den sanften Riesen geben, die ihnen die Arbeit abnahmen.
    Der Sommerhof strafte seinen Namen Lügen, denn er lag stets im Schatten der Türme, in denen hinter Glasfenstern mit seidenen Vorhängen die Winterlinge wohnten. Das düstere Viereck war verlassen, bis auf eine einzelne gebückte Gestalt mit einem Besen, die unter den strengen Steinbildnissen der frühen Lamai-Clanmütter fegte. Die Statuen zeigten allesamt die gleichen herablassend geschürzten Lippen. Maia blieb stehen, um dem graubärtigen Greis Bennett zuzusehen, wie er die herbstlichen Halbblätter zusammenkehrte. Bennett war offiziell kein Mann, sondern ein ›Ruheständler‹, der an Land geholt worden war, als seine Segelgilde sich nicht mehr um ihn kümmern konnte. Andere Matriarchate hatten diesen Brauch längst abgeschafft, doch Lamatia hielt voller Stolz an ihm fest.
    Zu Anfang seines Aufenthalts war in Bennetts Augen und in seiner brüchigen Stimme noch ein Fünkchen ehemaligen Feuers zu erkennen gewesen. Zwar hatte man ihm bescheinigt, daß jedes körperliche Zeichen von Männlichkeit verschwunden war, aber offenbar hatte er sie noch gut in Erinnerung. Gelegentlich
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