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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin
Autoren: Tess Gerritsen
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dort, und doch sind es diese Kleinigkeiten, die zwei Menschenleben zu einem einzigen zusammenschweißen. Sie hatten ihre Jugend zusammen verbracht, und zusammen waren sie älter geworden. Seine Vergangenheit konnte immer nur Mary gehören.
    Doch seine Zukunft war noch frei.
    Ich weiß nicht, was uns erwartet. Aber ich weiß sehr wohl, was mich glücklich machen würde. Und ich glaube, dass es sie auch glücklich machen könnte. Welchen größeren Segen könnten wir uns in unserem Alter noch wünschen?
    Mit jedem Kilometer, den er fuhr, fiel eine weitere Schicht der Ungewissheit von ihm ab. Als er schließlich aus dem Wagen stieg und das Pilgrim Hospital betrat, tat er es mit dem sicheren Schritt eines Mannes, der weiß, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat.
    Er fuhr mit dem Aufzug in den fünften Stock, meldete sich an der Stationszentrale an und ging den langen Korridor entlang zum Zimmer 523. Er klopfte leise an und trat ein.
    Peter Falco saß an Catherines Bett.
    Wie Rizzolis Zimmer war auch dieses von Blumenduft erfüllt. Die Morgensonne fiel durch Catherines Fenster und tauchte das Bett und die Frau, die darin lag, in ein goldenes Licht. Sie schlief. Über ihrem Bett hing ein Infusionsbeutel, und die Tropfen von Kochsalzlösung, die aus dem Beutel in den Schlauch fielen, schimmerten wie flüssige Diamanten.
    Moore stand da und sah Falco über das Bett hinweg an. Lange Zeit sprachen die beiden Männer kein Wort.
    Falco beugte sich vor und gab Catherine einen Kuss auf die Stirn. Dann stand er auf und erwiderte Moores Blick.
    »Passen Sie gut auf sie auf.«
    »Ja, das werde ich.«
    »Ich werde Sie beim Wort nehmen«, sagte Falco und verließ das Zimmer.
    Moore setzte sich auf den Stuhl, den Falco frei gemacht hatte, und nahm Catherines Hand. Ehrfürchtig hob er sie an seine Lippen. Und wiederholte leise: »Ja, ganz bestimmt.«
    Thomas Moore war ein Mann, der zu seinem Wort stand. Und auch dieses Versprechen würde er halten.

Epilog
    Es ist kalt in meiner Zelle. Draußen wehen die rauen Februarstürme, und man hat mir gesagt, dass es wieder zu schneien begonnen hat. Ich sitze auf meiner Pritsche, eine Decke über die Schultern geworfen, und denke an die köstliche Hitze, die uns wie ein Mantel einhüllte an jenem Tag, als wir durch die Straßen von Livadia schlenderten. Im Norden dieser griechischen Stadt entspringen zwei Quellen, die im Altertum als Lethe und Mnemosyne bekannt waren. Das Vergessen und die Erinnerung. Wir haben aus beiden Quellen getrunken, du und ich, und dann sind wir im Halbschatten eines Olivenhains eingeschlafen.
    Ich denke gerade jetzt daran zurück, denn ich mag diese Kälte nicht. Sie macht meine Haut trocken und rissig, und ich kann gar nicht so viel Creme draufklatschen, dass sie gegen die Verheerungen des Winters etwas ausrichten würde. Mein einziger Trost ist jetzt die kostbare Erinnerung an die Hitze und daran, wie wir beide durch Livadia spazierten und die sonnenwarmen Steine durch unsere Sandalen spürten.
    Die Tage vergehen hier so langsam. Ich bin allein in meiner Zelle, dank meines Rufs von den anderen Gefangenen abgeschirmt. Nur die Psychiater reden mit mir, aber sie verlieren allmählich das Interesse, weil ich ihnen keine aufregenden pathologischen Einsichten liefern kann. Ich habe als Kind keine Tiere gequält, ich habe nicht gezündelt und war auch kein Bettnässer. Ich bin zur Kirche gegangen. Ich war höflich zu älteren Menschen.
    Ich musste immer Sonnencreme benutzen.
    Ich bin nicht verrückter als sie selbst, und das wissen sie auch.
    Es sind nur meine Fantasien, die mich zu etwas Besonderem machen – und die mich in diese kalte Zelle gebracht haben, in dieser kalten Stadt, wo die windige Luft weiß vom Schnee ist.
    Ich ziehe mir die Decke fester um die Schultern, und es fällt mir schwer zu glauben, dass es Orte auf dieser Welt gibt, wo in diesem Moment braun gebrannte, von Schweiß glänzende Körper im warmen Sand liegen, während Sonnenschirme in der Meeresbrise flattern. Aber genau an einen solchen Ort ist sie verreist.
    Ich greife unter die Matratze und krame den Ausschnitt aus der Zeitung von heute hervor, die mir der Wärter freundlicherweise für eine kleine Gegenleistung zugesteckt hat.
    Es ist eine Heiratsanzeige. Am 15. Februar um drei Uhr nachmittags gab Dr. Catherine Cordell Detective Thomas Moore das Jawort.
    Die Braut wurde von ihrem Vater, Colonel Robert Cordell, zum Altar geführt. Sie trug ein mit Elfenbeinperlen besetztes Kleid mit hoher
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