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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin
Autoren: Tess Gerritsen
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dem alten Knauser. Und Sleepers Frau hat den Hibiskus dort mitgebracht.«
    Moore schüttelte ungläubig den Kopf. »Das haben Sie sich alles gemerkt?«
    »Na ja, sonst kriege ich doch nie Blumen geschenkt. Also habe ich mir dieses einmalige Ereignis besonders gut eingeprägt.«
    Wieder erkannte er einen Anflug von Verletzlichkeit hinter der Maske der Tapferkeit. Und er sah noch etwas anderes, das ihm vorher nie aufgefallen war – ein Leuchten in ihren dunklen Augen. Sie war lädiert, in Bandagen verpackt, und auf ihrem Kopf prangte eine hässliche kahle Stelle. Aber wenn man über die unvorteilhaften Züge ihres Gesichts hinwegsah, den kantigen Unterkiefer, die breite, flache Stirn, dann erkannte man plötzlich, dass Jane Rizzoli wunderschöne Augen hatte.
    »Ich habe vorhin mit Frost gesprochen. Er ist im Pilgrim«, sagte Moore. »Er sagt, Warren Hoyt wird durchkommen.«
    Sie schwieg.
    »Sie haben ihm heute Morgen den Sauerstoffschlauch aus dem Hals entfernt. Er hat immer noch einen Schlauch in der Brust, wegen der kollabierten Lunge. Aber er kann schon wieder selbst atmen.«
    »Ist er bei Bewusstsein?«
    »Ja.«
    »Redet er?«
    »Nicht mit uns. Nur mit seinem Anwalt.«
    »Mann, wenn ich nur die Chance gehabt hätte, den Scheißkerl zu erledigen …«
    »Sie hätten es nicht getan.«
    »Glauben Sie nicht?«
    »Ich glaube, Sie sind eine zu gute Polizistin, als dass Sie so einen Fehler ein zweites Mal begehen würden.«
    Sie sah ihn unverwandt an. »Das werden Sie nie erfahren.«
    Und du auch nicht. Wir können es nie genau wissen, bis der Teufel uns die Gelegenheit auf einem Silbertablett präsentiert.
    »Ich hab mir nur gedacht, Sie sollten das wissen«, meinte er und stand auf, um zu gehen.
    »He, Moore.«
    »Ja?«
    »Sie haben noch gar nichts von Cordell erzählt.«
    Er hatte es in der Tat absichtlich vermieden, das Thema Catherine anzusprechen. Sie war die Hauptursache für den Konflikt zwischen Rizzoli und ihm, die schwärende Wunde, die ihre berufliche Partnerschaft lahm gelegt hatte.
    »Ich habe gehört, es geht ihr einigermaßen«, sagte Rizzoli.
    »Sie hat die Operation gut überstanden.«
    »Hat er – hat Hoyt …«
    »Nein. Er ist nicht dazu gekommen, die Verstümmelung durchzuführen. Sie sind eingetroffen, bevor er es tun konnte.«
    Sie sank in ihr Kissen zurück. Ihre Miene drückte Erleichterung aus.
    »Ich fahre jetzt ins Pilgrim, um sie zu besuchen«, sagte er.
    »Und was passiert dann?«
    »Dann sehen wir zu, dass Sie wieder an Ihren Schreibtisch kommen, damit wir nicht ständig Ihre Anrufe für Sie annehmen müssen.«
    »Nein, ich meine, was wird aus Ihnen und Cordell?«
    Er zögerte. Sein Blick ging zum Fenster, wo das strahlende Sonnenlicht die Vase mit den Lilien überflutete und die Blütenblätter erglühen ließ. »Ich weiß es nicht.«
    »Macht Marquette Ihnen immer noch die Hölle heiß wegen der Sache?«
    »Er hat mich davor gewarnt, mich auf eine Beziehung mit ihr einzulassen. Und er hat Recht. Ich hätte es nicht tun sollen. Aber ich konnte einfach nicht anders. Manchmal denke ich …«
    »Dass Sie vielleicht doch nicht der heilige Thomas sind?«
    Er lachte bekümmert und nickte.
    »Es gibt nichts Langweiligeres als Vollkommenheit, Moore.«
    Er seufzte. »Es gilt Entscheidungen zu treffen. Schwere Entscheidungen.«
    »Die wichtigen Entscheidungen sind immer schwer.«
    Er grübelte eine Weile darüber nach. »Vielleicht ist es ja gar nicht meine Entscheidung«, sagte er. »Sondern ihre.«
    Als er zur Tür ging, rief Rizzoli ihm nach: »Wenn Sie Cordell sehen, dann richten Sie ihr etwas von mir aus, ja?«
    »Was soll ich ihr sagen?«
    »Das nächste Mal soll sie höher zielen.«
     
    Ich weiß nicht, was uns erwartet.
    Er fuhr nach Osten in Richtung Boston und hatte das Fenster heruntergedreht. Die Luft, die ihm ins Gesicht wehte, fühlte sich so kühl an wie seit Wochen nicht mehr. Über Nacht hatte sich von Kanada aus eine Kaltfront ausgebreitet, und an diesem frischen Morgen roch die Stadtluft mit einem Mal viel sauberer, ja fast rein. Er dachte an Mary, seine geliebte Mary, und an all das, was ihn für immer mit ihr verbinden würde. Fünfundzwanzig Jahre Ehe, mit all den unzähligen Erinnerungen. Das Liebesgeflüster am späten Abend, die kleinen Witze, die nur sie verstanden, ihre gemeinsame Geschichte. Ja, ihre Geschichte. Eine Ehe ist vielleicht nicht viel mehr als eine Aneinanderreihung scheinbar banaler Momente, einem angebrannten Essen hier, einem mitternächtlichen Bad im See
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