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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin
Autoren: Tess Gerritsen
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Folterwerkzeugen.
    O Gott. Ich war so nahe dran, dich zu retten.
    Krank vor Zorn ließ sie den Lichtstrahl an Cordells blutverschmiertem Rumpf emporgleiten, bis sie am Hals innehielt. Da war keine klaffende Wunde, kein Gnadenstreich.
    Der Lichtstrahl erzitterte plötzlich. Nein, nicht das Licht. Cordells Brust hatte sich bewegt!
    Sie atmet noch.
    Rizzoli riss das Klebeband von Cordells Mund und fühlte den warmen Atem auf ihrer Hand, sah Cordells Augenlider zucken.
    Ja!
    Ein Triumphgefühl durchfuhr sie, jedoch vermischt mit einer quälenden Ahnung, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie musste Cordell hier rausbringen.
    Sie steckte sich die Taschenlampe zwischen die Zähne, schnitt rasch Cordells Fesseln durch und tastete nach dem Puls. Sie fühlte ihn – er war schwach, aber er war eindeutig da.
    Immer noch konnte sie das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas nicht stimmte. Die ganze Zeit, während sie das Klebeband an Cordells rechtem Fußgelenk durchschnitt, während sie anschließend nach dem linken Fuß griff, läuteten unentwegt die Alarmglocken in ihrem Kopf. Und dann wusste sie, wieso.
    Dieser Schrei. Sie hatte Cordell bis in die Scheune schreien gehört.
    Aber sie hatte sie mit zugeklebtem Mund vorgefunden.
    Er hatte das Band abgerissen. Er wollte, dass sie schreit. Er wollte, dass ich den Schrei höre.
    Eine Falle.
    Augenblicklich streckte sie die Hand nach der Pistole aus, die sie auf dem Bett abgelegt hatte. Sie schaffte es nicht mehr.
    Das Kantholz krachte gegen ihre Schläfe. So gewaltig war der Schlag, dass sie mit dem Gesicht nach unten auf den festgestampften Boden fiel und alle viere von sich streckte. Mit aller Kraft versuchte sie sich aufzurichten.
    Wieder sauste das Kantholz auf sie herab und traf sie mit voller Wucht in die Seite. Sie hörte ihre Rippen knacken, und die Luft entwich zischend aus ihren Lungen. Sie rollte auf den Rücken. Der Schmerz war so fürchterlich, dass es ihr den Atem verschlug.
    Ein Licht leuchtete auf; eine einzelne Glühbirne, die hoch über ihr baumelte.
    Er stand da und sah auf sie herab, sein Gesicht ein schwarzes Oval vor dem Hintergrund des Lichtkegels. Der Chirurg, der seine neueste Eroberung begutachtete.
    Sie wälzte sich auf die unverletzte Seite und versuchte sich vom Boden abzustoßen.
    Er trat ihr den Arm weg, und sie fiel wieder auf den Rücken; der Aufprall zuckte wie ein Blitz durch ihren verletzten Brustkorb. Sie stieß einen wilden Schmerzensschrei aus. Sie konnte sich nicht rühren. Auch nicht, als er näher trat, als sie das Kantholz über ihrem Kopf schweben sah.
    Sein Stiefel senkte sich auf ihr Handgelenk, drückte es gegen den Boden.
    Sie schrie.
    Er streckte die Hand nach dem Tablett aus und ergriff eines der Skalpelle.
    Nein. O Gott, nein.
    Er ging in die Hocke, den Stiefel immer noch auf ihrem Handgelenk, und hob das Skalpell. Und ließ es mit einem einzigen unbarmherzigen Schwung auf ihre offene Hand herabfahren.
    Wieder entwich ihr ein schriller Schrei, als der Stahl ihr Fleisch durchbohrte und tief in die Erde drang. Ihre Hand war am Boden festgenagelt.
    Er nahm ein zweites Skalpell vom Tablett, packte ihre rechte Hand und zog an ihr, bis ihr Arm gerade ausgestreckt war. Er trat fest mit dem Stiefel darauf, sodass sie sich nicht mehr rühren konnte. Wieder hob er das Skalpell. Wieder senkte er es herab, stieß es durch ihr Fleisch in die Erde.
    Der Schrei war diesmal schon schwächer. Resigniert.
    Er stand auf und blickte einen Moment auf sie herab, so wie ein Sammler einen neuen bunten Schmetterling bewundert, den er soeben an das Brett gesteckt hat.
    Er ging zum Tablett und nahm ein drittes Skalpell. Rizzoli, die Arme ausgestreckt und die Hände an den Boden genagelt, konnte nur zusehen und auf den letzten Akt warten. Er ging um sie herum und kniete hinter ihrem Kopf nieder, packte ihre Haare und riss daran, ein heftiger Ruck. Ihr Hals lag offen da. Sie starrte ihm direkt ins Gesicht, doch es war immer noch kaum mehr als ein dunkles Oval. Ein schwarzes Loch, das alles Licht verschluckte. Sie konnte das Hämmern in ihren Halsschlagadern fühlen, ihr Pulsieren im Rhythmus des Herzschlags. Ihr Blut, das war ihr Leben, das durch Arterien und Venen strömte. Sie fragte sich, wie lange sie noch bei Bewusstsein bleiben würde, nachdem die Klinge ihr Werk getan hatte. Ob der Tod ein allmähliches Versinken in völlige Schwärze sein würde. Sie erkannte seine Unvermeidlichkeit. Ihr ganzes Leben
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