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Die Champagnerkönigin

Die Champagnerkönigin

Titel: Die Champagnerkönigin
Autoren: Petra Durst-Benning
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Berlin Hals über Kopf verlassen hatte, hatte sie außer Clara niemandem ihre neue Adresse mitgeteilt. Dennoch war es ihrem Vater offenbar spielend gelungen, sie ausfindig zu machen. Denn schon wenige Tage nach ihrer Heirat war ein Brief von ihm gekommen. An »Frau I. Feininger« – nicht einmal ihren Vor­namen hatte er ausgeschrieben. In knappen und eindeutigen Worten hatte er ihr mitgeteilt, dass sie für ihn gestorben war. Von ­ihrer Mutter kein Wort. Bis heute nicht. Lediglich von Clara kamen ab und zu ein paar spärliche Zeilen. Alle Brücken abgebrochen.
    Immer wieder schaute Isabelle aus dem Fenster, doch von Leon fehlte noch immer jede Spur. Verflixt, es war doch fast schon dunkel. Wann kam er endlich zurück?
    Um sich abzulenken, ging sie zum Spiegelscherben an der Wand. Im blassen Licht der Gaslampe versuchte sie, ihre Augenbrauen in Form zu zupfen. Wie rundlich ihr Gesicht geworden war! Und wie glanzlos ihr Blick – die ganze gefühlte Langeweile lag darin, dabei hatte sie einst sämtliche Herren allein mit ihrem herausfordernden Blick verzaubert. Fahrig warf Isabelle die goldene Pinzette auf die Waschkommode. Als Nächstes schnappte sie sich ihr Nähzeug und begann den Bund eines ihrer Röcke herauszulassen – eine Arbeit, die ihr bei all ihren Kleidern bevorstand. In Berlin hatte sie die Nächte durchtanzt, hatte ausgiebig mit dem Fahrrad trainiert und war gertenschlank gewesen. Doch durch das Nichtstun und die gehaltvolle Hausmannskost hier in diesem Haus war ihre schlanke Taille von Monat zu Monat mehr geschwunden. Selbst wenn sie noch so sehr die Luft anhielt, sich noch so sehr anstrengte – ihr Mieder konnte sie schon lange nicht mehr ganz zuschnüren. Leons Mutter hatte bereits eine Bemerkung gemacht, dass womöglich bald Nachwuchs ins Haus stünde. Schwanger, von wegen! Vielmehr sehe ich bald selbst aus wie eine Kartoffel, dachte Isabelle angewidert, während sie ihrem Rockbund gute drei Zentimeter mehr Stoff zugab. Vielleicht sollte sie sich von ihrer Schwiegermutter doch diese hässliche braune Schafwolle geben lassen und sich eine Jacke stricken. Damit würde sie ihre Rundungen umspielen können. Und zu tun hätte sie dann auch etwas. Du liebe Güte, sie und Handarbeiten …
    Eine Zeitlang nähte Isabelle mit klammen Fingern an dem Rock. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zurück zu dem Brief. Warum hatte sie ihn nicht an sich genommen? Mit jedem Nadelstich wuchs ihre Überzeugung, dass er sie auch betraf – sonst hätte Anni ihn ihr gegenüber doch gar nicht erwähnt! War ihren Eltern etwas passiert? Ein Unfall in Vaters Fabrik? Der Gedanke erschreckte sie, noch mehr erschreckte sie allerdings die stille Freude, die sie dabei verspürte: Im Notfall musste sie zurück nach Berlin, das würde jeder verstehen. Leon und seine Familie, ihre Familie, ihre Freunde in Berlin. Sie wäre niemandem Erklärungen schuldig. Und dann würde man schon weitersehen.
    Mit klopfendem Herzen lief Isabelle erneut in die Küche. Sie musste den Brief lesen, und zwar sofort! Nur – wo hatte ihre Schwiegermutter ihn hingelegt? Auf der Anrichte mit dem löch­rigen Deckchen lag er nicht, im Korb bei den schrumpeligen Äpfeln auch nicht. Isabelle suchte hier und da, vergeblich. Sie wollte schon entmutigt wieder nach oben gehen, als sie den Umschlag doch noch entdeckte: Anni Feininger hatte ihn hinter den gelbstichigen Spiegel geklemmt. Isabelle atmete erleichtert aus. Sie hatte den Brief schon in der Hand, als hinter ihr eine scharfe Stimme ertönte: »Finger weg! Der Brief ist für Leon!«

2. Kapitel
    Gutgelaunt erklomm Leon nach seiner ausgedehnten Radtour die Treppe zum Schlafzimmer. Isabelle sei oben, hatte seine Mutter ihm mit säuerlicher Miene verkündet. Wahrscheinlich hatte sich seine liebe Ehefrau wieder einmal vor irgendwelchen Hausfrauenpflichten gedrückt! Leon hatte gespürt, dass seine Mutter einen Kommentar von ihm erwartete, mehr noch, dass er sich auf ihre Seite schlug. Doch er würde sich hüten! Wer von den beiden Frauen dafür sorgte, dass das Essen rechtzeitig auf den Tisch kam, war ihm gleich. Er mochte die Speisen seiner Mutter und war zufrieden damit, dass sie die Familie bekochte. Und was Isabelle anging, im Bett war sie alles, was ein Mann sich wünschen konnte … Leon grinste. Er warf einen Blick auf die Wanduhr, die oben am Treppenaufgang hing. Es war kurz nach fünf, Abendessen gab es um sechs – genügend Zeit also für ein bisschen sportliche Betätigung unter der Bettdecke.
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