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Die BUNTE Story

Die BUNTE Story

Titel: Die BUNTE Story
Autoren: Hubert Burda
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angeht, natürlich um das Erzählen von Geschichten mit Bildern.
    In meinem Büro hängt ein Gemälde des Malers Christian Wilhelm Ernst Dietrich (1712–1774), »Der Bänkelsänger«. Es entstand am Ende einer Entwicklung, an deren Anfang der Geschichtenerzähler mit seinen Moritaten die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Jahrmärkten gewinnen wollte. Später, nach der ersten großen Romanschwemme und mit der Erfindung der Rotationsmaschine, übernahmen die Illustrierten – am Ende des 19. Jahrhunderts – die Rolle des Geschichtenerzählers.
    Was sind die »Odyssee« und die »Ilias« anderes als glänzend erzählte Geschichten? Was der »Parzival« des Wolfram von Eschenbach oder der »Tristan« von Chrétien de Troyes? Stets geht es darum, Geschichte und Geschichten spannend, überraschend, interessant zu erzählen und die Neugierde der Zuhörer und Leser zu wecken.
    Natürlich hat sich das Erzählen durch die Massenmedien verändert. Was einst nur – meistens mündlich – an eine höfische Gesellschaft adressiert war, wendet sich heute an viele, oft ganz verschiedene Zielgruppen.
    Eine »Spiegel«-Geschichte unterscheidet sich vom Vorabendprogramm »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« bei RTL, die Story und der Plot des ARD-»Tatorts« wiederum von einer »Bunte«-Geschichte über eine Königshochzeit. Nur wer spannend für die jeweilige Zielgruppe erzählen kann, findet Aufmerksamkeit. Davon hängen Auflage oder Einschaltquote, also der Erfolg auf dem Markt ab.
    Wie das Talent fürs Geschichtenerzählen in meine Familie kam, bleibt weitgehend im Dunkeln. Von meinem Großvater, der als Sohn böhmischer Einwanderer in der Kleinstadt Offenburg ein – wie man heute sagen würde – Nobody war, ist bekannt, dass er 1909 in die Narrengesellschaft »Althistorische Narrenzunft« eingetreten war und gerne in den Vorstand aufgenommen worden wäre. Bei der ersten Wahl fiel er jedoch durch und gelangte später nur durch den Rücktritt eines anderen Kandidaten in deren Präsidium. Ein Jahr darauf gestaltete er schon 14 Punkte des Redoute-Programms der großen Fastnachtsveranstaltung, die jeweils am Fastnachtssonntag – im Alemannischen einer der Höhepunkte des Jahres – stattfindet, dachte sich Geschichten aus und führte Musiknummern auf.
    Von meinem Vater, der nach dem Zweiten Weltkrieg für ein paar Tage in Haft saß – er hatte über die französische Besatzung einige unflätige Bemerkungen gemacht –, geht die Legende, dass er den beiden Zelleninsassen ein ausgeklügeltes Erzählprogramm vortrug, um sich die Zeit zu vertreiben. Wenn der Anstaltspfarrer als guter Architektur-Kenner über die verschiedenen Baustile am Oberrhein referierte, schloss sich Franz Burda mit einem Vortrag über badische Dichter an, um am nächsten Tag über moderne Komponisten, danach über die Musik der Barockzeit und schließlich, am letzten Tag, über die heimische Tierwelt zu dozieren. Seinen beiden Zellengenossen soll es gar nicht recht gewesen sein, dass mein Vater schon bald entlassen wurde.

2 St. Moritz

Das Bergrestaurant »Chasellas« gehört zum Suvretta-Hotel in St. Moritz. Es erfreut sich besonderer Beliebtheit dank des fein zubereiteten Zürcher Kalbsgeschnetzelten mit goldbraunen Röstis. In diesem Lokal habe ich Anfang 1974 meinen 34. Geburtstag gefeiert.
    In derselben Woche fanden in dem Engadiner Ort die alpinen Ski-Weltmeisterschaften statt. Franz Klammer und Hansi Hinterseer waren am Start, vor allem Gustav Thöni, der Südtiroler, der sich so elegant wie kein anderer seiner Konkurrenten zwischen den Slalomstangen bewegte.
    Und so kam eine fröhliche Gästerunde zusammen: Willy Bogner, selbst ein Skistar, Suzy Chaffee, die amerikanische Freestyle-Meisterin, Journalisten wie Harry Valérien, Fredy Baumgärtel von der »Quick«, Franz Kneissl und Pepi Fischer, die Ski-Fabrikanten, und viele Bergsteiger, darunter mein Skilehrer und Bergführer Andrea Florineth.
    Der Wirt des »Chasellas« hieß Johnny Geisler und war so um die sechzig, ein gestandener Schweizer, der unbequeme Gäste oft eigenhändig vor die Tür setzte. Meinen Vater verehrte er sehr und las alles von ihm, besonders dessen Kolumnen über die Verantwortung des Unternehmers. Meinen Freunden und mir galt sein leiser Vorwurf, wir seien eigentlich doch eher bequeme Nichtstuer mit reichem Background. Ganz falsch lag er mit der Einschätzung nicht.

    Andrea Florineth, im Engadin geboren, war von 1966 bis zu seinem
tragischen Lawinentod 1986 mein Bergführer.
Mit
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