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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder
Autoren: Jan Guillou
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wirklich nicht gerechnet.
    Als der Kutscher vor dem Empfangskomitee vorfuhr, eilten zwei junge Männer in hellblauen Uniformen herbei und öffneten auf beiden Seiten des Wagens den Schlag und klappten gleichzeitig die Stufen herunter, bevor sie Haltung annahmen.
    Die erwartete ländliche Idylle platzte wie eine Seifen­blase. Sverres Mund war trocken, und er fürchtete, weder auf Englisch noch auf Deutsch ein Wort über die Lippen zu bringen, dann gelang es ihm aber doch noch, eine rasche Frage zu zischen.
    »Wie spreche ich die Damen an?«
    Albie, der bereits im Begriff war auszusteigen, drehte sich rasch um. Seine Nervosität war wie weggeblasen, und er schenkte ihm sein reizendstes Lächeln, als sei genau dies seine besondere Überraschung.
    »Mylady reicht fürs Erste. Folge einfach meinem Beispiel, Liebling, das schaffen wir mühelos!«
    Behände sprang er auf den Kies und ging mit ausgebreiteten Armen auf die hübsch gekleideten Damen zu, die in der ersten Reihe der Wartenden standen. Sverre folgte schräg hinter ihm. Albie umarmte seine Mutter, küsste sie und beantwortete rasch ein paar Fragen nach dem Verlauf der Reise. Dann begann die eigentliche Prozedur.
    »Liebste Mama, darf ich dir Diplomingenieur Sverre Lauritzen vorstellen, meinen künftigen Kompagnon, von dem ich schon so viel erzählt habe? Sverre, meine Mutter, Lady Elizabeth.«
    Plissierte Seide, am Hals elegant ausgeschnitten, sehr geschmackvoll, von einer Brosche geziert, vermutlich ein Aquamarin. Die Dame mittleren Alters, die keine voll­endete, aber eindrucksvolle Schönheit war, streckte ihm die rechte Hand entgegen. Er nahm sie vorsichtig mit seiner Linken und berührte sie flüchtig mit den Lippen.
    Sie hieß ihn herzlich willkommen, und er murmelte eine Antwort. Dann stellte Albie ihm seine Schwestern vor, ­Lady Margrete, genannt Margie, und Lady Penelope, genannt Pennie. Er küsste ihnen ebenfalls die Hand. Die beiden sprachen Deutsch und scherzten mit ihm. Als er sie mit gnädige Frau ansprach, löste dies große Heiterkeit aus, was ihn unsicher machte. Als Nächstes wurde eine äl­tere Dame begrüßt, offenbar die Großmutter, Lady Sophy. ­Albie raunte ihm zu, dass sie mit Lady Sophy anzusprechen sei, obwohl man sie im Familienkreise nur Auntie nenne. Erneuter Handkuss. Und wieder war Sverre unfähig, das Geschehen um sich herum zu begreifen. Es war wie ein Albtraum, in dem er taub war und sich die Münder der anderen bewegten, ohne dass er etwas hörte.
    Ein groß gewachsener Mann im Jackett, der neben der Großmutter stand, wurde einfach nur mit seinem Vor­namen, James, vorgestellt, aber es gelang Sverre nicht, ihn in der Rangordnung zu platzieren. Das war verwirrend. Er versuchte es mit Sir, wurde jedoch reserviert zurechtgewiesen, dass der Name James und ein Händedruck völlig genüge.
    Anschließend kam eine Dame mittleren Alters an die Reihe, die nicht ganz so elegant gekleidet war wie die Damen der Familie, aber auch nicht so einfach wie die Dienstboten, die weiter hinten standen. Sie hieß Mrs. Stevens, und Sverre vermutete, dass er ihr wie James einfach nur die Hand geben musste.
    Die nächste Dame wurde trotz ihres englischen Namens, Mrs. Jones, auf Deutsch vorgestellt. Albie erklärte, Mrs. Jones sei das ehemalige Fräulein Gertrude, die Nachfolgerin Fräulein Hildes, die unseligerweise mit einem der Buchhalter durchgebrannt sei. Das ehemalige Fräulein Gertrude war inzwischen Mrs. Jones geworden, Ehefrau des Oberbutlers Henry Jones, somit im Haushalt fest verankert und, soweit bekannt, ohne Absichten, das Weite zu suchen. Sverre konzentrierte sich darauf, wiederum einfach nur die Hand zu schütteln.
    Die Begrüßung der schwarz-weiß gekleideten Dienst­boten vollzog sich bedeutend schneller. Anschließend begaben sich alle ins Haus, angeführt von den Damen, gefolgt von Sverre, den Albie diskret vor sich herschob und ihm dabei ins Ohr flüsterte, er solle sich nur an ihm orientieren, dann würde schon alles glattlaufen.
    Die Dienstboten verschwanden wie Geister in verschiedene Richtungen, und die Familie versammelte sich in einem kleineren Salon im Erdgeschoss, den man durch eine Bibliothek und ein Herrenzimmer erreichte und der in einem Stil möbliert war, den Sverre kunsthistorisch nicht einzuordnen wusste. Er tippte auf 18. Jahrhundert, sehr englisch, definitiv nicht französisch. James servierte Tee, Sandwiches und Scones.
    Sverre wusste nicht, ob er sich wie in einem Traum oder im Schockzustand fühlte. Er
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