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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder
Autoren: Jan Guillou
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bemühte sich, die freund­lichen, allgemein gehaltenen Fragen zu beantworten, was ihm am leichtesten fiel, wenn sie von den Schwestern gestellt wurden, die darauf bestanden, Deutsch mit ihm zu sprechen, ein Deutsch, das fast so perfekt war wie Albies. Die Teezeremonie dauerte etwa eine halbe Stunde, als ­Lady Elizabeth sich plötzlich erhob. Auch Albie erhob sich unverzüglich, und Sverre war geistesgegenwärtig genug, es ihm gleichzutun. Lady Elizabeth sagte etwas über die lange Reise und das Willkommensdinner um acht Uhr.
    Daraufhin hakte sich Albie bei Sverre unter und gelei­tete ihn aus dem Salon, als könne er nicht allein gehen. Draußen in der frischen Luft kehrte sein bis dahin lahmgelegtes Denkvermögen wie eine Erlösung wieder.
    »Mein allerliebster Albie, warum hast du mich nicht vorgewarnt?«, fragte er, als sie die rauen Kalksteinstufen der Haupttreppe hinuntergingen.
    »Weil ich befürchtet habe, dich abzuschrecken. Dann, nachdem sich diese Angst verflüchtigt hatte, fand ich es bedeutungslos, weil unsere Beziehung über solch banalen finanziellen und sozialen Fragen steht. Und zuletzt habe ich mich geschämt, weil ich nichts gesagt habe. Wie auch immer, jetzt sind wir hier.«
    »Über diese Antwort hast du offenbar lange nachgedacht.«
    »Darauf kannst du dich verlassen. Seit wir in Antwerpen an Bord gegangen sind ungefähr.«
    »Sie war jedenfalls wohlformuliert.«
    »Danke, mein Lieber.«
    Sie gingen schweigend durch den unüberschaubar großen Park auf ein langes, zweistöckiges Gebäude mit rie­sigen Fenstern zu, die vom Boden bis ins Obergeschoss reichten, vermutlich eine Art Orangerie.
    Die erste Hürde war überwunden, das Allerwichtigste war gesagt. Trotzdem gab es noch einige Unklarheiten. Doch Sverre zögerte zu fragen. Albie sah so rührend schuldbewusst aus, und die Unterhaltung sollte schließlich nicht in eine Art Verhör ausarten. Gleichzeitig konnte Sverre seine Neugier kaum zügeln.
    »Du weißt, dass ich aus, wie man zu sagen pflegt, sehr einfachen Verhältnissen komme?«, begann er vorsichtig.
    »Aber ja. Eine typisch englische Ausdrucksweise. Gewiss doch. Schließlich hast du im Gegensatz zu mir alles über dich und deinen Hintergrund erzählt. Viele Menschen schämen sich einer derartigen Herkunft und tun alles Erdenkliche, um sie zu verbergen, um nicht von Leuten wie mir durchschaut zu werden. Aber du hast das nie getan. Bei uns war es umgekehrt.«
    Die Antwort verwirrte Sverre, aber er kam nicht dazu, weitere Fragen zu stellen, da sie an der Tür des länglichen weißen Gebäudes angelangt waren. Albie hielt vielsagend zwei Schlüssel in die Höhe, überreichte einen davon ­Sverre und schloss auf.
    »Das ist die Überraschung, von der ich sprach«, sagte er, als sie in die Diele traten.
    Der Anblick war überwältigend. Die Wände waren weiß gekalkt wie in einer protestantischen Kirche, die gerahmten Lithografien erinnerten an die Ingenieurskünste, dazwischen hingen aber auch einige dramatische Ölgemälde von dampfenden Lokomotiven und gewaltigen Ozeandampfern, die ähnliche Assoziationen hervorriefen. Es duftete frisch geputzt, nach Farbe und nach Neubau. Eine doppelläufige, hufeisenförmige Treppe aus hellem Eichenholz führte ins Obergeschoss. Die Modernität und das Licht bildeten einen starken Kontrast zu dem dunklen, alten Schloss ein paar hundert Meter entfernt.
    Albie öffnete eine kleine Tür, und sie betraten eine große Bibliothek, in der vier Zeichentische standen, wie sie sie auch in Dresden verwendet hatten.
    »Die Bibliothek ist gut ausgestattet, sie umfasst nahezu die gesamte technische Literatur auf unserem Gebiet. Zweitausendsechshundert Bände«, erklärte Albie, ging mit ein paar raschen Schritten durch den Raum und öffnete die nächste Tür.
    Dort, am äußeren Ende des Erdgeschosses, lag eine komplett ausgerüstete mechanische Werkstatt. Was immer am Zeichentisch im angrenzenden Arbeitszimmer ersonnen wurde, konnte sofort versuchsweise umgesetzt werden.
    Eine Wendeltreppe im hinteren Ende der Werkstatt führte in einen großen Salon, ein klassisches Herrenzimmer mit einer Bibliothek, die Literatur und Geisteswissenschaften umfasste. Die Einrichtung war im Unterschied zur technischen Bibliothek im Erdgeschoss konservativer, die Wände waren mit dunklem Holz getäfelt, den Boden bedeckten Perserteppiche, ein paar Palmen standen in Kübeln in den Ecken, Seestücke hingen an den Wänden, und es gab ein Grammofon mit einer beachtlichen
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