Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Breznkönigin: Roman (German Edition)

Die Breznkönigin: Roman (German Edition)

Titel: Die Breznkönigin: Roman (German Edition)
Autoren: Emma Sternberg
Vom Netzwerk:
offensichtlich bin ich da die Einzige. Bea zumindest ist total wild darauf, mit mir zu skypen.
    Ich klicke auf das Symbol mit dem Telefonhörer. Ein futuristisches Geräusch ertönt, und schon habe ich meine beste Freundin auf dem Bildschirm, hübsch zurechtgemacht und – war ja mal wieder klar – perfekt frisiert und geschminkt. Seit sie in New York wohnt, ist sie immer perfekt frisiert und geschminkt, ganz anders als ich. Ich sehe meistens so aus, als sei ein hungriger Raubvogel über mich hergefallen, um in meiner Frisur nach Beute zu suchen: brünett, zerzaust, wirr.
    Hinter Beas Rücken ist Jaspers absurd schickes Apartment zu erkennen, in dem sie jetzt lebt. Das aus Berlin importierte Gründerzeitparkett, der echte Kamin, das Paar riesiger Bodenlampen vor der Fensterfront und die Fünfzehntausend-Dollar-Sitzlandschaft aus irgendeinem besonderen Leder, Chinchilla oder Papagei oder was weiß ich. Ich muss mich gar nicht erst umdrehen, um zu wissen, wie der Hintergrund aussieht, den Bea gerade sieht. Es war Ende der Achtziger, als der Papa den Dachboden des Gasthofs ausgebaut hat, inklusive hölzerner Wandverkleidung und Strukturtapete. Klar, als ich von Pforzheim wieder hergezogen bin, hab ich hier natürlich schon noch mal renoviert, wobei » renoviert « eher heißt: Großeinkauf bei IKEA und alles andere weiß überstreichen. Am Anfang erschien mir der Unterschied zu vorher so riesig, dass ich mich richtig wohlgefühlt habe zwischen meinen hellen, neuen Möbeln. Aber seit einiger Zeit fallen mir die Mängel wieder auf: das billige Gummibaumparkett aus dem Baumarkt, der abplatzende Lack an den Türen und die Tatsache, dass man einem Couchtisch für 4,99 seinen Preis eben doch ansieht. Und auch die Strukturtapete ist immer noch eine Strukturtapete, egal ob geweißelt oder nicht.
    » Hi«, sage ich, lasse mich vor ihr auf den Schreibtischstuhl fallen und nehme mir ganz fest vor, die Wohnung in den Weihnachtsferien auf Vordermann zu bringen.
    Bea lacht auf, als sie mich sieht.
    » Was?«, frage ich gereizt.
    » Hast du geschlafen?« Sie kichert.
    » Was? Nein! Wie kommst du denn darauf?«
    Ihr Gesicht nähert sich dem Monitor, und ich muss mit ansehen, wie sie mit breitem Grinsen mein Gesicht einer sehr genauen Untersuchung unterzieht.
    » Wirklich nicht?«, fragt sie dann. » Komisch, ich könnte schwören, dass das Rote da auf deiner Backe ein Abdruck deiner rechten Hand ist.«
    » Schmarrn«, sage ich und reibe mir die Wange, was sie mit noch lauterem Glucksen quittiert. » Ich hab nur ganz kurz die Füße hochgelegt, bloß ein klitzekleines Minütchen.«
    » Ach so«, sagt sie nur.
    » Ich musste eben früh aufstehen«, rechtfertige ich mich.
    » Verstehe.«
    » Ja! Die Omi musste zum Aldi …«
    » … und da hat sie natürlich keiner außer dir fahren können.«
    Ich erröte.
    » Der Papa musste brennen«, verteidige ich ihn schwächlich.
    » Und deine Mutter war im Office«, sagt sie und wackelt mit den Augenbrauen.
    Jetzt muss auch ich lächeln. Meine Mutter hat vor ein paar Jahren ein einwöchiges Office-Management-Seminar in einem Schulungszentrum in Frankfurt gemacht. Seither redet sie ständig nur noch von Workflow oder Change-Prozessen – dabei ist sie bloß die Sekretärin des hiesigen BayWa-Regionalleiters, und ihr Einkommen reicht gerade so, um den Papa mit zu ernähren. Manchmal hab ich das Gefühl, sie will mit ihrem professionellen Getue bloß darüber hinwegtäuschen, dass sie es in ihrem Leben nicht so weit wie erhofft gebracht hat, nämlich, sich als Gattin eines erfolgreichen Unternehmers präsentieren zu können – beim Friseur zum Beispiel oder im Nagelstudio oder bei der Kosmetikerin. Als sie bemerkt hat, dass der Typ an ihrer Seite mitnichten vorhat, sich zum erfolgreichen Stargastronomen aufzuschwingen, war sie bereits mit ihm verheiratet und mit mir schwanger. Am Anfang hat sie noch versucht, ihren Mann zu seinem Glück (oder besser gesagt, zu ihrem Glück) zu zwingen, aber irgendwann hat sie es aufgegeben. Seither macht halt jeder bloß noch so sein Ding: der Papa seine Schnäpse und die Mama Diät.
    » Mei, die Mama muss halt ihre Work-Life-Balance im Visier behalten«, sage ich, und obwohl das natürlich nicht so wahnsinnig komisch war, lachen wir jetzt beide, so wie früher manchmal, herzlich und ausgiebig.
    Bea weiß alles über mich und meine Familie. Wirklich alles. Sie ist im einzigen Plattenbau des ganzen Oberlandes aufgewachsen, der zufälligerweise genau im Nachbardorf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher