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Die Blutmafia

Die Blutmafia

Titel: Die Blutmafia
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eine grau gestrichene Tür. Irgend jemand hielt sie für ihn auf. Da waren weißschimmernde Kacheln, Waschbecken, Schüsseln und eine ganze Reihe von Kabinen. Er betrat die erste, schlug die Tür hinter sich zu, riß Knöpfe auf, ließ sich sinken, und die Tränen schossen aus seinen Augen. Warum … Warum …
    Von irgendwoher hörte er: »Sachsen-Stahl wird leben!«
    Er schüttelte den Kopf und konnte nichts tun gegen das Schluchzen, das aus seiner Kehle quoll, nichts gegen das Wasser in den Augen – und nichts gegen dieses Gefühl, ins Bodenlose zu fallen, fortgerissen von einem Strudel aus Scham, Demütigung und Schwäche …
    Er hatte sich in den letzten Sitz der schmalen Flugzeugkabine gedrückt. Es war ein Einzelsitz. Den Piloten, der an der Bar des kleinen Warteraums herumhing, hatte er gebeten, ihn zur Firmenmaschine zu begleiten. Der Mann hatte nur genickt und ihn aufmerksam von der Seite gemustert. Auch er schien bereits Bescheid zu wissen. Aber Reissner hatte abgewehrt, als der Mann ihm den Arm reichen und ihn beim Einstieg in den Firmenjet stützen wollte. Nicht reden müssen, das war alles. Nicht reden – und nicht denken!
    Zwanzig Minuten später waren die anderen Mitglieder der Konzerngruppe aufgetaucht. Der dicke Wegner mit wehendem Mantel voran, dahinter Soltau, dann Bachmann, schließlich Leipschütz, der Tarifrundenspezialist und Personalkoordinator. Am Schluß aber, auf Stöckelabsätzen, die Müller-Neubert, blond und unnahbar wie immer. Selbst die kalten Böen, die über den kleinen Flugplatz sausten, schienen ihrer Frisur nichts anzuhaben.
    Sie winkten ihm zu, als sie einer nach dem anderen die Leiter hochkletterten, die Köpfe einzogen und ihre Sitze in der Kabine suchten. Und sie machten alle dieselben verklemmten und zugleich bemüht-gelassenen Gesichter. Ja, es war ein Begräbnis erster Klasse. Und sie zeigten genau die Gesichter, die zu einer solchen Situation gehören.
    Als sie grüßten, hob Reissner nicht einmal die Hand. Er starrte zum Fenster hinaus. Wann lag das alles endlich hinter ihm?
    Doch nun gab es nur noch ihn selbst. Er hatte wieder Tabletten genommen und deshalb das Gefühl, als sei sein Magen einen Stock tiefer gesunken, ja, als existiere nichts mehr unterhalb der Gürtellinie.
    N UR NOCH DU SELBST .
    Jakob Linder würde auf ihn verzichten müssen. Die anderen konnten ihm ja berichten. Und das würden sie mit Begeisterung tun! Auf ihn würden sie deuten, um die eigene Haut zu retten.
    Doch auch das war nicht wichtig.
    Jeder ist sich selbst der Nächste, nicht wahr, Herr Linder?
    Die Maschine rollte endlich an, pfiff über den Platz, dann zogen die Düsen den Lear-Jet durch die schmuddelige graue Wolkendecke.
    Dieter Reissner sah hinaus: Der Ausläufer des Thüringer Walds, weiter links mußte irgendwo Zwickau liegen, das Kaff schob sich mit Kirche und seinen Straßen einem Hang zu. Ein letzter Blick aufs Werk. Von oben sah es grau und kläglich und spielerisch aus. Nun schoben sich weißliche Wolken davor.
    Vorbei und abgehakt.
    Sie flogen fünfzig Minuten. Dann tauchten unter der Tragfläche die Baumwipfel des Erdinger Forstes auf.
    Soltau schob sich aus seinem Sitz und drehte ihm den Kopf zu: »Wie ist das nun, Herr Doktor, fahr' ich mit Ihnen zur Firma?«
    Reissner schüttelte den Kopf. »Steigen Sie bei Wegner ein. Ich hab' noch in der Stadt zu tun.«
    Es war siebzehn Uhr vierzig, als die Maschine aufsetzte …
    Jakob Linder drückte den Knopf der Sprechanlage. »Frau Frahm, hat sich Dr. Reissner gemeldet? Wissen Sie endlich Bescheid?«
    »Nein, Herr Linder.«
    »Was ist mit seinem Assistenten? Wie hieß er noch?«
    »Soltau. Herr Soltau war gerade bei mir. Er sagte, Herr Dr. Reissner habe am Flugplatz seinen eigenen Wagen genommen. Und er habe davon gesprochen, daß er noch etwas in der Stadt erledigen müsse.«
    »Ist der Mann denn völlig übergeschnappt?«
    »Jedenfalls kann sich Herr Dr. Reissner unmöglich im Haus befinden, Herr Linder. Herr Soltau hat auch den Parkplatz abgesucht – sein Wagen ist nirgends zu finden.«
    »Und Wegner?«
    »Der ist genauso ratlos. Er kann sich das alles nicht erklären.«
    »So? Kann er nicht? Ich auch nicht. Rufen Sie mal den Wegner, verdammt noch mal! Nein, sagen Sie ihm, er soll sofort zu mir kommen. Und den ganzen Verein, der mit in Sachsen war, soll er gleich mitbringen.«
    Jakob Linder warf sich gegen die schwarze Lehne des Chefsessels. Dann schob er sich hoch und marschierte durch das riesige Büro hinüber zum Fenster.
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