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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie
Autoren: Cody Mcfadyn
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zähneknirschender Münder. Die Schuppen, die seinen Leib bedecken, sind so schwarz wie etwas, das verbrannt wurde. Und die Stimme klingt scharf und nasal und erinnert an die Südstaaten, als er zu mir spricht.
    »Ich fresse Seelen für mein Leben gern«, sagt er im Konversationston zu mir. »Es geht doch nichts darüber, etwas zu fressen, das eigentlich für den Himmel bestimmt war.«
    Ich bin nackt an mein Bett gefesselt, gebunden mit silbernen Ketten, die unglaublich dünn und trotzdem unzerbrechlich sind. Ich fühle mich wie Dornröschen, das durch ein Missgeschick in eine Geschichte von H. P. Lovecraft geraten ist. Das unter der Berührung einer gespaltenen Zunge aufgewacht ist statt unter dem sanften Kuss seines Helden. Ich habe keine Stimme, ich bin mit einem Seidenschal geknebelt.
    Der Dämon steht am Fußende meines Bettes und blickt auf mich herab, während er spricht. Er sieht selbstzufrieden und zugleich besitzergreifend aus und starrt mich an mit dem Stolz, mit dem ein Jäger den Rehbock betrachtet, den er auf die Motorhaube geschnallt hat.
    Er schwenkt ein gezacktes Kampfmesser in der Hand. Es erscheint winzig in seiner riesigen Klauenhand.
    »Aber ich mag meine Seelen am liebsten gut durch und anständig gewürzt! Deiner fehlt irgendwas … vielleicht eine Prise Todesqual und ein Schuss Schmerzen?«
    Seine Augen werden leer, und schwarzer Speichel, der aussieht wie Eiter, trieft von seinen Fängen, läuft ihm über das Kinn und tropft auf seine mächtige geschuppte Brust. Der Dämon bemerkt es überhaupt nicht, und das macht mir furchtbare Angst. Dann grinst er lüstern, zeigt seine zahllosen spitzen Zähne und schüttelt neckisch eine Klaue in meine Richtung.
    »Ich hab noch jemand hier bei mir, meine Liebe. Meine süße, liebe Smoky.«
    Er tritt beiseite und gibt den Blick frei auf meinen Prinzen, auf ihn, dessen Kuss mich hätte erwecken sollen. Meinen Matt. Den Mann, den ich seit meinem siebzehnten Lebensjahr kenne. Den Mann, den ich so gut kenne, wie ein Mensch einen anderen nur kennen kann. Er ist nackt auf einen Stuhl gefesselt. Er ist geschlagen worden, furchtbar geschlagen. Die Sorte von Schlägen, die sehr wehtun, ohne zum Tod zu führen. Die Art von Schlägen, die sich anfühlen, als seien sie endlos. Die jede Hoffnung töten, während der Körper am Leben bleibt.
    Ein Auge von Matt ist zugeschwollen, seine Nase ist gebrochen, Zähne sind ausgeschlagen hinter dem zerfetzten Fleisch seiner Lippen. Sein Unterkiefer ist zerschmettert und formlos. Sands hat sein Messer an Matt benutzt. Ich sehe kleine, tiefe Schnitte überall auf dem Gesicht, das ich geliebt und geküsst und zwischen den Händen gehalten habe. Tiefere, längere Schnitte auf der Brust und dem Bauch. Und Blut. So viel Blut überall. Blut, das läuft und tropft und schäumt, während Matt atmet. Der Dämon hat Matts Bauch mit Blut beschmiert und »Vier gewinnt« darauf gespielt. Ich bemerke, dass die O gewonnen haben.
    Matts unversehrtes Auge begegnet meinem Blick, und die vollständige Verzweiflung, die ich darin erkenne, füllt meinen Verstand mit einem furchtbaren Aufheulen. Es ist ein Aufheulen aus den Eingeweiden, ein seelenzerschmetterndes Geräusch, nacktes, stimmgewordenes Entsetzen. Ein Hurrikan von einem Schrei, lang genug, um die Welt zu zerstören. Ich bin erfüllt von einer alles verzehrenden Wut, die so intensiv, so überwältigend ist, dass sie jeden klaren Gedanken mit der Wucht einer Bombenexplosion zerfetzt. Es ist die Wut des Wahnsinns, die totale Dunkelheit einer Höhle tief unter der Erde. Sie verfinstert die Seele.
    Ich brülle durch meinen Knebel hindurch wie ein Tier, die Art Brüllen, das die Kehle blutig macht und Trommelfelle zerfetzt, und ich stemme mich so wütend gegen meine Fesseln, dass sie in meine Haut schneiden. Meine Augen treten hervor, als wollten sie aus den Höhlen platzen. Wäre ich ein Hund, ich hätte Schaum vor dem Maul. Ich will nur eines: diese Fesseln sprengen und diesen Dämon mit meinen bloßen Händen töten. Ich will nicht, dass er einfach nur stirbt – ich will ihn ausweiden. Ich will ihn zerreißen, bis er nicht mehr wiederzuerkennen ist. Ich will die Atome spalten, die diesen Dämon ausmachen, und sie in Gas verwandeln.
    Doch die Ketten sind zu stark. Sie reißen nicht. Sie lockern sich nicht einmal. Und die ganze Zeit über beobachtet mich der Dämon mit nachdenklicher Faszination, eine Hand auf Matts Kopf, die monströse Parodie einer väterlichen Geste.
    Der Dämon lacht
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