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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie
Autoren: Cody Mcfadyn
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und schüttelt den ungeheuerlichen Kopf, und seine zahllosen Münder kreischen protestierend. Dann spricht er erneut, mit dieser Stimme, die nicht zu seiner Gestalt passt.
    »Also fangen wir an! Wolfeszahn und Kamm des Drachen, Hexenmumie, Gaum und Rachen.« Er zwinkert. »Es geht doch nichts über ein wenig Verzweiflung, um Würze in eine heroische Seele zu bringen …« Eine kurze Pause, dann wird seine Stimme für einen kurzen Moment ernst, erfüllt von einer Art perversem Bedauern: »Mach dir keine Vorwürfe deswegen, Smoky. Selbst eine Heldin kann nicht immer gewinnen.«
    Ich sehe erneut Matt an, und der Ausdruck in seinem Auge reicht aus, um mir zu wünschen, ich wäre tot. Es ist kein Ausdruck der Angst oder des Schmerzes oder des Entsetzens. Es ist ein Ausdruck von Liebe. Für einen kurzen Moment ist es ihm gelungen, den Dämon aus der Welt dieses Zimmers zu verdrängen, sodass nur Matt und ich existieren, und wir sehen uns an.
    Eines der Geschenke einer langen Ehe ist die Fähigkeit, alles, einfach alles – angefangen von sanfter Missbilligung bis hin zum Sinn des Lebens – mit einem einzigen Blick zu kommunizieren. Es ist eine Fähigkeit, die man im Prozess der Verschmelzung der eigenen Seele mit der seines Partners erlangt – falls man willens ist, seine Seelen zu verschmelzen. Matt schenkt mir einen von jenen Blicken, und er sagt drei Dinge mit seinem einen, unverletzten, wunderschönen Auge: Es tut mir Leid, ich liebe dich und … Lebewohl.
    Es ist, als beobachtete ich den Weltuntergang. Sie versinkt nicht in Flammen und Rauch, sondern in kalten, alles durchdringenden Schatten. Dunkelheit, die bis in alle Ewigkeit andauern wird.
    Der Dämon scheint es ebenfalls zu spüren. Er lacht erneut und führt einen kleinen Freudentanz auf, wobei er mit dem Schwanz wedelt und Eiter aus seinen Poren tropft.
    »Aaa-moreee. Wie süß das ist! Das ist die Kirsche auf meinem Smoky-Eisbecher. Der Tod der Liebe.«
    Die Tür zum Zimmer öffnet sich und schließt sich wieder. Ich sehe niemanden eintreten … doch am Rand meines Blickfelds steht plötzlich eine kleine, dunkle Gestalt. Irgendetwas an diesem Anblick erfüllt mich mit Verzweiflung.
    Matt schließt sein Auge, und in mir steigt erneut diese Wut auf. Ich stemme mich gegen meine Fesseln.
    Das Messer fährt herab, und ich höre das nasse, schneidende Geräusch, und Matt schreit durch seinen Knebel hindurch, wie ich durch meinen schreie, und mein Prinz, mein Märchenprinz stirbt, mein Märchenprinz stirbt …
    Schreiend wache ich auf.
    Ich liege auf dem Sofa in Dr. Hillsteads Sprechzimmer. Er kniet neben mir, berührt mich mit Worten, nicht mit den Händen.
    »Schhhh. Ist ja gut, ist alles gut. Es war nur ein Traum, Smoky. Sie sind hier. Sie sind in Sicherheit.«
    Ich zittere am ganzen Leib und bin schweißgebadet. Ich spüre Tränen, die auf meinem Gesicht trocknen.
    »Geht es Ihnen wieder besser?«, fragt Dr. Hillstead. »Sind Sie wieder da?«
    Ich kann ihn nicht ansehen. Ich richte mich in eine sitzende Haltung auf.
    »Warum haben Sie das getan?«, flüstere ich. Ich kann nicht länger so tun, als wäre ich stark, nicht vor meinem Therapeuten. Er hat mich zerschmettert, und jetzt hält er mein schlagendes Herz in den Händen.
    Er antwortet nicht sofort, sondern steht auf, nimmt einen Sessel und stellt ihn dicht vor die Couch. Dann setzt er sich, und obwohl ich ihn immer noch nicht ansehen kann, fühle ich, dass er mich ansieht, wie ein Vogel, der mit den Flügeln ans Fenster schlägt. Zaghaft und beharrlich zugleich.
    »Ich habe es getan … weil ich es tun musste.« Er schweigt für eine Sekunde. »Smoky, ich arbeite inzwischen seit zehn Jahren für das FBI und andere Vollzugsbehörden. Sie und Ihre Kollegen, Sie sind aus unglaublich hartem Holz geschnitzt. Ich habe die besten Eigenschaften der menschlichen Spezies in dieser Praxis gesehen. Hingabe. Tapferkeit. Ehre. Pflichterfüllung. Sicher, ich habe auch ein wenig Böses gesehen, einiges an Korrumpiertheit. Allerdings war das die Ausnahme, nicht die Regel. Hauptsächlich habe ich Stärke gesehen. Unglaubliche Stärke. Stärke des Charakters und der Seele.« Er zögert, zuckt die Schultern. »In meinem Beruf sprechen wir normalerweise nicht über die Seele. Wir glauben normalerweise nicht daran. Gut und Böse? Das sind doch nur allgemeine Konzepte, keine fest definierten Dinge.« Er blickt mich grimmig an. »Aber das ist ein Irrtum, nicht wahr? Es sind nicht nur Konzepte, habe ich Recht?«
    Ich starre
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