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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie
Autoren: Cody Mcfadyn
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durchlöchern. Einmal, auf einem Freiluft-Schießstand, habe ich mir einen Pingpongball auf den Rücken der Schusshand gelegt, die Hand, mit der ich auch die Waffe ziehe. Und dann habe ich gezogen und die Waffe abgefeuert und den Pingpongball getroffen, noch bevor er den Boden berühren konnte. Ein alberner Trick, sicher, aber es war eine sehr befriedigende Erfahrung.
    All das geht mir durch den Kopf, während Dr. Hillstead mich beobachtet.
    »Es stimmt«, antworte ich.
    Er klappt die Akte zu. Verschränkt die Hände und sieht mich an. »Sie sind eine außergewöhnliche Agentin. Ganz sicher eine der besten Agentinnen in der Geschichte des FBI. Sie jagen die Schlimmsten der Schlimmen. Vor sechs Monaten hat sich ein Mann, den Sie gejagt haben, Joseph Sands, gegen Sie und Ihre Familie gewandt. Er hat Ihren Mann vor Ihren Augen erschossen, hat Sie vergewaltigt und gefoltert und Ihre Tochter umgebracht. Durch eine Anstrengung, die man nur als übermenschlich bezeichnen kann, haben Sie die Situation umgedreht und Sands getötet.«
    Ich bin inzwischen ganz von Taubheit eingehüllt. Ich weiß nicht, worauf das alles hinauslaufen soll, und es ist mir auch gleichgültig.
    »Und hier bin ich nun, mit einem Beruf, in dem zwei plus zwei nicht immer vier ergibt und die Dinge nicht immer zu Boden fallen, wenn man sie loslässt, und versuche, Ihnen dabei zu helfen, zu alledem zurückzukehren.«
    Der Blick, mit dem er mich ansieht, ist so voll von aufrichtigem Mitgefühl, dass ich wegsehen muss; die Emotionen darin drohen mich zu verbrennen.
    »Ich mache meine Arbeit schon seit langer Zeit, Smoky. Und Sie kommen nun schon seit einer ganzen Weile zu mir. Ich habe mit den Jahren ein Gefühl für bestimmte Dinge entwickelt. – Sie würden es wahrscheinlich als sechsten Sinn bezeichnen. Und wissen Sie, was mein sechster Sinn mir sagt? Ich glaube, dass Sie zu entscheiden versuchen, ob Sie wieder zurück zu Ihrer Arbeit gehen oder sich das Leben nehmen sollen.«
    Ruckartig starre ich ihn an – ein unfreiwilliges Geständnis, das der Schock mir entlockt hat. Während die Taubheit mit einem Schrei von mir abfällt, erkenne ich, dass er mich manipuliert hat, mit großem Geschick manipuliert hat. Er hat um den heißen Brei herumgeredet, ist abgeschweift, hat sich hier und da vorgetastet und mich verunsichert und im Unklaren gelassen über sein eigentliches Ziel, um dann erbarmungslos zuzuschlagen. Direkt auf den Lebensnerv. Ohne zu zögern. Und es hat funktioniert.
    »Ich kann Ihnen nicht helfen, Smoky, solange Sie mir gegenüber nicht rückhaltlos offen sind.«
    Erneut dieser mitfühlende Blick, zu aufrichtig und ehrlich für mich in diesem Moment. Seine Augen sind wie zwei Hände, die mich an den psychischen Schultern nehmen und kräftig schütteln. Ich spüre, wie mir die Tränen kommen, und erwidere seinen Blick voller Zorn. Er will mich brechen, so wie ich zahllose Kriminelle in zahllosen Verhörzimmern gebrochen habe. Scheiße, verdammt.
    Dr. Hillstead scheint meine Gedanken zu erraten und lächelt sanft.
    »Okay, Smoky, es ist gut. Nur eine letzte Sache noch.«
    Er öffnet eine Schreibtischschublade und nimmt einen Beweismittelbeutel aus Plastik hervor. Zuerst kann ich nicht erkennen, was er enthält, doch dann sehe ich es, und was ich sehe, lässt mich gleichzeitig zittern und schwitzen.
    Es ist meine Pistole. Die Waffe, die ich seit Jahren getragen und mit der ich Joseph Sands erschossen habe.
    Ich kann den Blick nicht davon lösen. Ich kenne sie wie mein eigenes Gesicht. Meine Glock. Tödlich. Schwarz. Ich weiß, wie viel sie wiegt und wie sie sich anfühlt – ich kann mich sogar an ihren Geruch erinnern. Dort liegt sie, in diesem Beutel, und ihr Anblick erfüllt mich mit einem überwältigenden Entsetzen.
    Dr. Hillstead öffnet den Beutel und holt die Pistole hervor. Er legt sie zwischen uns auf den Schreibtisch. Dann sieht er mich wieder an, nur ist es diesmal ein harter Blick, keine Spur von Mitgefühl. Er hat mich an der Nase herumgeführt. Mir wird klar, dass das, was ich für einen Frontalangriff gehalten habe, nichts als ein Ablenkungsmanöver, eine Finte war. Aus Gründen, die ich nicht begreife und die er offensichtlich sehr gut versteht, ist es diese Waffe, die mich weit öffnen wird. Meine eigene Waffe wird mich brechen.
    »Wie oft haben Sie diese Pistole in der Hand gehalten, Smoky?«, fragt er. »Tausend Mal? Zehntausend Mal?«
    Ich lecke mir die Lippen, die trocken sind wie Staub. Ich antworte nicht. Ich kann
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