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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie
Autoren: Cody Mcfadyn
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ein Triumvirat.« Er zählt es an seinen Fingern ab. »Wenn man für das Gesetz arbeitet, sieht man die schlimmsten Dinge, zu denen menschliche Wesen fähig sind. Man tut Dinge, die kein Mensch tun müssen sollte, angefangen mit dem Anfassen verwesender Leichen bis – in einigen Fällen – hin zum Töten anderer Menschen. Und man verliert Dinge, ob sie unfassbar sind wie die Unschuld oder der Optimismus, oder ob sie real sind wie ein Partner oder … die Familie.«
    Er mustert mich mit einem Blick, den ich nicht zu deuten vermag. »Und das ist der Punkt, an dem ich ins Spiel komme. Ich bin genau wegen dieses Problems hier. Und dieses Problem hindert mich auch daran, meine Arbeit so zu tun, wie sie getan werden sollte.«
    Jetzt bin ich ebenso verwirrt wie interessiert. Ich sehe ihn an, um ihm zu signalisieren fortzufahren, und er seufzt. Es ist ein Seufzen, das sein eigenes »Sehen-Handeln-Verlieren« zu enthalten scheint, und ich frage mich, was für Leute sonst noch alles ihm gegenüber sitzen, hier auf diesem Stuhl. Welchen anderen Qualen er lauscht und mit zu sich nach Hause nimmt, wenn er geht.
    Ich versuche mir das vorzustellen, während ich ihn ansehe. Dr. Hillstead, wie er zu Hause sitzt. Ich kenne die wichtigsten Daten, habe ihn flüchtig überprüft. Nie verheiratet, wohnt in einem zweistöckigen Fünfzimmerhaus in Pasadena. Fährt einen Audi Sport Kombi. – Der Doc mag es ein wenig schnell, ein Hinweis auf einen Teil seiner Persönlichkeit. Doch das sind alles nur leere Fakten. Nichts, das einem wirklich verraten könnte, was passiert, wenn er durch die Vordertür seines Hauses tritt und sie hinter sich schließt. Ist er ein Mikrowellen-Junggeselle? Oder brät er sich Steaks, trinkt Rotwein und sitzt allein an einem makellos gedeckten Tisch, während im Hintergrund Vivaldi spielt? Hey, vielleicht kommt er ja nach Hause, schlüpft in ein paar hochhackige Schuhe und trägt dazu nichts anderes und macht die Hausarbeit, mit haarigen Beinen und allem.
    Ich erwärme mich an diesem Gedanken, ein wenig heimlicher Humor. Ich nehme mir meine Lacher, wo ich sie kriegen kann in diesen Tagen. Dann zwinge ich mich wieder zur Konzentration auf das, was er zu mir sagt.
    »In einer normalen Welt würde jemand, der das Gleiche durchgemacht hat wie Sie, Smoky, niemals wieder zurückfinden. Wären Sie ein durchschnittlicher Mensch in einem durchschnittlichen Beruf, würden Sie sich in Zukunft von Waffen, Mördern und Leichen fern halten, und zwar für immer. Doch meine Aufgabe besteht darin herauszufinden, ob ich Ihnen dabei helfen kann, bereit zu sein, zu alldem zurückzukehren. Das wird von mir erwartet. Verwundete Seelen aufzufangen und wieder zurück in den Krieg zu schicken. Klingt vielleicht melodramatisch, ist aber wahr.«
    Jetzt beugt er sich vor, und ich spüre, dass wir uns dem entscheidenden Punkt nähern, auf den er hinauswill.
    »Wissen Sie, warum ich bereit bin, daran zu arbeiten? Obwohl ich weiß, dass ich jemanden in die gleiche Sache zurückschicke, die ihn so schwer verwundet hat?« Er zögert. »Weil es das ist, was neunundneunzig Prozent meiner Patienten wollen.«
    Er massiert sich erneut den Nasenrücken und schüttelt den Kopf.
    »Die Männer und Frauen, die ich sehe, ausnahmslos psychisch schwer verwundet, wollen von mir geheilt werden, damit sie wieder zurück in die Schlacht können. Und die Wahrheit ist, dass – was auch immer Leute wie Sie die meiste Zeit über antreiben mag – zurückzukehren genau das ist, was Sie brauchen. Wissen Sie, was mit den meisten von denen passiert, die nicht zurückkehren? Manchmal kommen sie ganz gut zurecht. Die meiste Zeit trinken sie. Und immer wieder bringt sich der eine oder andere um.«
    Er sieht mich an, während er die letzten Worte spricht, und ich fühle mich plötzlich verfolgt und frage mich, ob er meine Gedanken lesen kann. Ich habe keine Ahnung, wohin das führen soll. Es bringt mich aus dem Gleichgewicht, irritiert mich und vermittelt mir ein ziemlich unbehagliches Gefühl. Und all das ärgert mich. Meine Antwort auf Unbehagen ist ganz und gar irisch, das stammt von meiner Mutter – ich werde sauer und gebe der anderen Person die Schuld dafür.
    Er greift über seinen Schreibtisch nach links und nimmt einen dicken Ordner zur Hand, der mir vorher nicht aufgefallen ist. Er legt ihn vor sich hin und schlägt ihn auf. Ich blinzle angestrengt und erkenne überrascht, dass mein Name auf dem Einband steht.
    »Das ist Ihre Personalakte, Smoky. Ich habe sie
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