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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie
Autoren: Cody Mcfadyn
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nicke.
    »Und was macht mein Berufsstand angesichts dieser Tatsache?« Er gestikuliert. »Welche Haltung nehmen wir gegenüber der Seele und ihren Problemen ein? Keine wissenschaftliche – zumindest noch nicht. Wir sind noch nicht bei zwei plus zwei angekommen. Wären wir das, würde ich jeden Patienten heilen, der durch diese Tür hereinkommt. Ich würde wissen, dass ich im Fall von Depressionen gemäß A, B und C vorgehen muss, und es würde immer funktionieren. Es würde Gesetzmäßigkeiten geben, die sich niemals ändern, und das wäre Wissenschaft.« Er lächelt nun; es ist ein ironisches Lächeln. Vielleicht ein wenig traurig. »Doch ich heile nicht jeden Patienten. Nicht einmal die Hälfte.« Er verstummt kurz, dann schüttelt er den Kopf. »Was ich tue, meine Arbeit, ist keine Wissenschaft. Es ist eine Ansammlung von Methoden, die man ausprobieren kann und von denen die meisten auch in früheren Fällen schon mehr als einmal funktioniert haben. Und weil das so ist, lohnt es sich, sie erneut anzuwenden. Das ist allerdings auch schon alles. Ich habe begonnen, diese Meinung in der Öffentlichkeit zu vertreten, und daher … genieße ich bei vielen meiner Standeskollegen nicht den besten Ruf.«
    Ich denke eine Weile über seine Worte nach, während er wartet. »Ich glaube, ich verstehe den Grund«, sage ich. »In einigen Bereichen des FBI geht es heutzutage mehr um das Image und weniger um die Resultate. Wahrscheinlich ist es bei Ihren Kollegen, die Sie nicht mögen, genauso.«
    Er lächelt erneut, diesmal ist es ein müdes Lächeln. »Pragmatisch gleich zum Kern der Sache, wie immer, Smoky. Zumindest bei den Dingen, die Sie nicht selbst betreffen.«
    Ich zucke bei diesen Worten innerlich zusammen. Es ist eine von Dr. Hillsteads Lieblingstechniken, eine normale Unterhaltung als Deckmantel für die seelenenthüllenden Bemerkungen zu benutzen, die er so ganz nebenbei gegen einen abfeuert. Wie die kleine Scud-Rakete, die er soeben in meine Richtung geschossen hat. Du hast einen messerscharfen Verstand, Smoky, besagen seine Worte, aber du benutzt ihn nicht, um deine eigenen Probleme zu lösen. Autsch. Die Wahrheit schmerzt.
    »Und doch bin ich hier, trotz allem, was andere von mir denken mögen. Einer der vertrauenswürdigsten Therapeuten, wenn es um Fälle geht, die FBI-Agents betreffen. Was glauben Sie, warum das so ist?«
    Er sieht mich erneut an, abwartend. Ich weiß, dass er auf irgendetwas hinauswill. Dr. Hillstead sagt nie etwas Unüberlegtes. Also denke ich darüber nach.
    »Wenn ich raten müsste«, erwidere ich, »dann würde ich raten, dass es so ist, weil Sie gut sind. Gut sein zählt immer mehr als gut wirken, jedenfalls bei meiner Sorte Arbeit.«
    Erneut dieses leichte Lächeln.
    »Das ist richtig. Ich bringe Resultate. Das ist nichts, womit ich hausieren gehe, und ich klopfe mir deswegen nicht jeden Abend vor dem Schlafengehen auf die Schulter. Doch es ist die Wahrheit.«
    Er sagt das im einfachen, überhaupt nicht arroganten Tonfall eines vollendeten Profis. Ich verstehe ihn sehr gut. Es geht nicht um Bescheidenheit. In einer taktischen Situation, wenn man jemanden fragt, ob er gut umgehen kann mit einer Waffe, will man eine ehrliche Antwort. Wenn dein Partner schlecht schießt, dann willst du es wissen, und dein Partner will, dass du es weißt, weil eine Kugel den Lügner genauso schnell tötet wie den ehrlichen Mann. Wenn es hart auf hart geht, musst du die Wahrheit über die Stärken und Schwächen deiner Partner kennen. Ich nicke, und er fährt fort.
    »Das ist es, worauf es in jeder militärischen Organisation ankommt. Ob man Resultate bringt. Halten Sie es für eigenartig, dass ich das FBI als militärische Organisation betrachte?«
    »Nein. Wir sind im Krieg.«
    »Wissen Sie, was das größte Problem jeder militärischen Organisation ist, immer?«
    Ich fange an mich zu langweilen und werde unruhig. »Keine Ahnung.«
    Er sieht mich missbilligend an. »Denken Sie nach, bevor Sie antworten, Smoky. Bitte verschwenden Sie nicht unnötig meine Zeit.«
    Abgestraft gehorche ich. Ich spreche langsam, als ich endlich etwas sage. »Vermutlich … das Personal?«
    Er richtet einen Finger auf mich. »Bingo! Und … warum?«
    Die Antwort springt mich an, wie es manchmal passiert, wenn ich an einem Fall arbeite, wenn ich wirklich richtig nachdenke. »Wegen der Dinge, die wir sehen.«
    »M-hm. Das gehört dazu. Ich nenne es Sehen-Handeln-Verlieren. Was man sieht, wie man handelt, was man verliert. Es ist
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