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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie
Autoren: Cody Mcfadyn
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Gräber werden nie besucht. Sie altern und verwahrlosen.
    Obwohl der Friedhof voller Erinnerungen ist und von Geistern heimgesucht wird, ist es ein friedlicher Ort. Und es ist ein wundervoller Tag. Bonnie hat eigenhändig Blumen auf Annies Grab gepflanzt. Als sie ihre Arbeit beendet hat, steht sie auf und reibt sich den Schmutz von den Händen.
    »Bist du fertig, Liebes?«, frage ich.
    Sie sieht mich an, nickt. Lächelt.
    Elaina hat mit ihrer Chemotherapie angefangen. Alan kommt trotzdem zur Arbeit. Ich habe akzeptiert, dass ich keinerlei Einfluss auf das Ergebnis ihrer Therapie und auf das habe, was sich daraus für die beiden entwickelt. Ich kann nicht mehr tun als meine Freunde zu lieben und für sie da zu sein.
    James hat seine Schwester wieder begraben. Leo hat sich einen neuen Hund gekauft, einen Labradorwelpen, von dem er seit Tagen ununterbrochen erzählt. Callies Genesung macht Fortschritte. Sie wird von Tag zu Tag übellauniger, weil sie noch im Krankenhaus bleiben muss – ein gutes Zeichen. Ihre Tochter besucht sie weiterhin, und Callie scheint zu akzeptieren, dass sie nun den Titel einer Großmutter trägt. Es scheint ihr nicht sonderlich viel auszumachen, im Gegenteil.
    Tommy und ich haben uns einige weitere Male getroffen. Bonnie mag ihn. Wir gehen es langsam an, warten ab, wohin es führt.
    Wie sich herausgestellt hat, ist Peter Hillstead für den Tod von mindestens zwölf Frauen verantwortlich. Die meisten seiner Morde waren perfekte Verbrechen. Wir haben nur deshalb davon erfahren, weil er alles in seinen Tagebüchern festgehalten hat. Er hat akribische Notizen angefertigt, genau wie sein Vater. Und wie sein Vater hat er seine Opfer versteckt. Er hat sich Frauen ausgesucht, die niemand vermisst, und er hat ihre Leichen beseitigt, wenn er mit ihnen fertig war. Er hat keinerlei Beweise zurückgelassen, nichts außer … Schatten.
    Wir haben immer noch keine Ahnung, mit welchen anderen Ungeheuern er in Kontakt gestanden und welche Jünger er sonst noch herangezogen hat außer jenen, von denen wir bereits wissen – und ob es überhaupt weitere gegeben hat. Ich habe gelernt, das ebenfalls zu akzeptieren, weil ich auch darauf keinen Einfluss habe. Wenn sie irgendwann aus ihren Löchern gekrochen kommen, bin ich da, um sie zu schnappen.
    Außerdem haben wir erfahren, dass sich Robert Street und Peter Hillstead seit fast drei Jahren kannten. Street hat sich nur an den letzten beiden Morden beteiligt. Offen gestanden, es ist mir egal. Hillstead ist tot und erledigt, und Street wird bald seinen Platz in der Todeszelle erhalten.
    Hillstead hat seine Stellung als Arzt und autorisierter Therapeut für Agenten missbraucht, um sich Zugang zu persönlichen Akten zu verschaffen, was ihn, wie wir glauben, auch zu Callies Tochter geführt hat. Das FBI hat jeden von uns bei der Einstellung gründlich durchleuchtet, und Marilyn wird den scharfen Augen der Prüfer nicht entgangen sein.
    Manchmal erschien er uns allwissend angesichts seiner Fähigkeit, selbst die kleinsten Details über uns herauszufinden. In Wirklichkeit war er nur schlau und verschlagen.
    Wir aber waren schlauer, was ich mir in grimmiger Selbstgefälligkeit immer wieder ins Gedächtnis rufe. Ich erkenne die Gefahr dahinter. Der schwarze Zug ist meine eigene Arroganz, die mich eines Tages über eine Klippe tragen könnte, wenn ich nicht aufpasse. Für den Augenblick lasse ich ihn fahren. Drachen sind schließlich stolze Wesen.
    Die Hillsteads haben unseren Profilern neue Arbeit verschafft, und sie sind völlig aus dem Häuschen. Ein neuer und bisher unbekannter Typus des Serienmörders, bla-bla-bla-bla.
    Ich glaube nicht, dass er sich so sehr von all den anderen Serienkillern unterschied, die ich gejagt und geschnappt habe. Er hat einen Fehler gemacht, genau wie alle anderen. Ganz gleich, wie »perfekt« er gewesen sein mag, es war Renee Parker – sein allererstes Opfer –, die aus dem Grab nach ihm gegriffen und ihn am Ende zu sich hinunter in die Erde gezogen hat. Das erfüllt mich mit einem Gefühl gewaltiger Befriedigung.
    Die echten Geister unserer Welt sind, so habe ich seither häufig gedacht, genau das: die Konsequenzen unserer Handlungen. Die Fußspuren der Veränderung, die wir auf unserer Reise durch die Zeit hinterlassen.
    Konsequenzen. Sie können uns verfolgen und uns schaden. Sie können uns aber auch erheben und des Nachts eine Quelle des Trostes sein. Nicht alle Geister heulen und jammern. Manche lächeln einfach nur.
    Bonnie redet
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