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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie
Autoren: Cody Mcfadyn
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ausfüllt.
    Alles Schöne an ihr steigt in meiner Erinnerung hoch. Alles auf einmal. Jeder Moment, in dem ich ihr Lächeln gesehen, in dem ich sie an mich gedrückt und ihr Haar gerochen habe. Jede Träne, die ich weggewischt habe, jeder Kuss, den sie mir gegeben hat. In letzter Zeit sind viele Erinnerungen an meine Tochter zurückgekehrt, zugegeben, doch diese hier sind zehntausendmal lebendiger. Zehn Millionen mal stärker.
    Alles verloren. Für immer.
    »Nun machen Sie schon, Special Agent Barrett! Ich fange jetzt an zu zählen. Zehn Sekunden!«
    Ich schwimme in einem Ozean voll Tränen, und er hat keinen Horizont.
    Also lautet die Frage, wieder einmal: Wird meine Hand zittern, wenn ich die Waffe gegen mich selbst richte? Ich könnte es auf diese Weise beenden. Schnell und einfach.
    Ein Ende aller Erinnerungen. Das ist es, was ich mehr will als alles andere. Meine Vergangenheit vergessen.
    »Sie waren mein Inspector Abberline, Smoky. Sie sollten glücklich sein. Sie sind die Beste der Besten. Niemand hat einen von uns je geschnappt, nicht seit den Tagen unseres großen Vorfahren. Ich muss sagen, Ihr Manöver mit dem Fleisch im Glas war großartig. Eine offensichtliche Lüge, doch ich gestehe … Sie haben mich wütend gemacht. Dass Sie Robert geschnappt haben – nun ja, er war nachlässig, deswegen war das kein Geniestreich von Ihnen. Aber Sie sind talentiert, liebste Smoky. Unglaublich talentiert.«
    Ich verstehe kaum, was er sagt. In meinen Ohren herrscht ein Tosen, das die Welt zu verschlingen droht. Ich bin es selbst, ich hämmere mit den Fäusten gegen mich, bis sie bluten. Ich schreie, ohne je wieder aufhören zu wollen. Ich heule und fluche und sterbe und …
    Mami!
    Das Tosen endet.
    Stille.
    Ich sehe sie aus den Augenwinkeln, doch ich kann sie nicht ansehen. Nein.
    Ich schäme mich zu sehr.
    Es ist okay, Mami. Es ist okay. Du musst dich nur an etwas Wichtiges erinnern.
    Was? Dass ich dich enttäuscht habe? Dass ich dich getötet habe? Dass ich weiterlebe und du nicht? Und dass – am schlimmsten von allem – das Leben weitergeht?
    Scham erfüllt mich, ergreift Besitz von jedem Teil von mir. Gräbt sich tief in mein Innerstes. Ein Schmerz, ein absoluter, unendlicher Schmerz.
    Da wären wir also, denke ich. Das ist das Ende. Der Ort, an dem ich endgültig verliere. Ins Nichts abtauche.
    Ich beginne ohnmächtig zu werden.
    Bevor ich ganz weg bin, lächelt Alexa mir zu.
    Es ist eine strahlende Sonne. Ein goldener Moloch aus Licht.
    Nein, Mami. Erinnere dich. Erinnere dich an die Liebe.
    Es ist, als hätte jemand den »Pause«-Knopf gedrückt. All die Scham, all der Schmerz enden. Halten an.
    Reglosigkeit.
    Ein Stück Zeit vergeht, und ich sehe zu, wie es verstreicht. Bumm, macht mein Herz, und dann Bumm, beendet es den Schlag.
    Dort steht sie, direkt vor mir. Alexa. Nicht länger ein undeutlicher, verschwommener Schatten, kein kurzer Moment in einem Traum.
    Meine wunderschöne Alexa. Strahlend.
    »Hi Mami«, sagt sie.
    »Hi Baby«, flüstere ich.
    Ich weiß, dass sie nicht wirklich da ist. Ich weiß aber auch, dass sie so präsent ist, wie sie nur sein kann.
    »Du musst dich entscheiden, Mami«, sagt sie mit sanfter Stimme. »Ein für alle Mal.«
    »Was meinst du damit, Liebes?«
    Sie beugt sich vor, nimmt meine Hände in die ihren. Ihre Zärtlichkeit geht auf mich über, schlägt über mir zusammen. Es ist so wunderschön, dass ich mich winde.
    »Zu leben. «
    Die Wahrheit kommt – meiner Erfahrung nach – ohne Fanfaren daher, sie kommt in einem einzigen Moment, und sie ändert alles, für immer. Die Wahrheit ist stets einfach.
    Mit dieser Wahrheit verhält es sich nicht anders.
    Die Wahl zwischen Leben oder Tod ist die Wahl zwischen Alexa und Hillstead.
    Zwischen Matt und Sands.
    Alexa lächelt, nickt … und verschwindet.
    Und genauso schnell, von einem Herzschlag zum anderen, bin ich wieder klar im Kopf. Mein Wahnsinn fällt von mir ab, und die Wahrheit bleibt.
    Die Zeit setzt sich wieder in Bewegung.
    Hillstead plappert noch immer vor sich hin, doch ich kann seine Worte nicht verstehen. Ich fühle mich, als wäre ich unter einer Glocke aus Stille. In einer Welt, in der sich alles mit seiner normalen Geschwindigkeit bewegt, während meine eigenen Gedanken dahinträumen. Wie Tai-Chi am Grund eines Swimmingpools.
    Bonnie hat mich nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen, seit ich das Zimmer betreten habe. Voller Angst, und zugleich voller Vertrauen. Jetzt sehe ich sie an, jetzt, nachdem ich wieder klar
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