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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition)
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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hinter ihr im Türrahmen erschien.
    „Ich habe Hunger“, meinte der Junge entschieden, nicht bereit, die sich ihm bietende Chance nutzlos verstreichen zu lassen. Elsa überlegte nur kurz und kam dann zu dem Schluss, dass keine Zeit für lange Reden war. Rasch lief sie in die Küche zurück und kehrte von dort mit einem Stück duftenden Brotes in der Hand zurück.
    Dem Jungen lief das Wasser im Mund zusammen. Gierig griff er nach dem Brot, doch die Magd zog die Hand, in der sie das Brot hielt, blitzschnell wieder zurück und versteckte sie hinter ihrem Rücken.
    „Erst will ich sehen, ob du die Wahrheit gesprochen hast.“
    Sogleich lief ihr der Junge mit flinken Schritten voran, und Elsa hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Keuchend musste sie einige Male stehen bleiben, um nach Luft zu ringen. Doch schließlich öffnete sich die schmale Gasse und gab ihr den Blick auf die alles dominierende Kathedrale frei.
    Schon von Weitem konnte sie die Menschenmenge erkennen, die sich auf dem Kathedralenvorplatz gebildet hatte. Als sie schließlich bei ihr ankam, half ihr der Junge, sich einen Weg durch die Menschen zu bahnen, die dicht gedrängt nebeneinanderstanden. Doch noch bevor sich die Magd voller Sorge über Marie beugen konnte, hatte ihr der Junge auch schon blitzschnell das versprochene Brot aus der Hand gerissen und war damit davongerannt, um sich ein stilles Plätzchen an der Stadtmauer zu suchen, wo er sich in Ruhe darüber hermachen konnte.
    Der Knecht war Elsa gefolgt und stand nun seitlich hinter ihr. Mit offenem Mund glotzte er auf Marie herab.
    „Was stehst du da Maulaffen feilhaltend herum, heb sie schon auf“, zischte Elsa wütend und bedachte die Menge mit abfälligen Blicken. Was dachten sich diese Gaffer nur dabei, so nutzlos herumzustehen, ohne auch nur den geringsten Versuch zu unternehmen, dem Mädchen zu helfen?
    Der Knecht zögerte, und ein ängstlicher Ausdruck legte sich über seine etwas dümmlich wirkenden Gesichtszüge.
    „Jetzt mach schon, oder muss ich dir erst einige Stockhiebe versetzen lassen?“, fauchte Elsa ihn an, der Maries starr aufgerissene Augen große Angst bereiteten.
    Der Knecht wagte es schließlich nicht länger, sich ihrem Befehl zu widersetzen. Gehorsam hob er das bewusstlose Mädchen auf und trug es hinter Elsa her, die, ohne noch weiter nach rechts und links zu blicken, zielstrebig voranlief und ihm den Weg durch die Menge frei machte.
    Als sie zu Hause angekommen waren, ließ Elsa Marie sofort in die Kammer bringen, die sie sich mit ihren drei älteren Schwestern teilte. Danach herrschte sie den Knecht an, Wasser zu holen und die Herrin des Hauses zu verständigen.
    Eleonore, Maries Mutter, war eine schöne und stolze, aber vom Leben verbitterte Frau, die an der Strenge ihres Herrn Gemahls beinahe zerbrochen war. Nie hatte sie auch nur das geringste Anzeichen von Zuneigung, geschweige denn Liebe von ihm empfangen, und so fiel es ihr schwer, Gefühle zu zeigen, selbst ihren eigenen Kindern gegenüber. Beherrscht und voller Pflichtgefühl verhielt sie sich stets, wie man es von einer Frau ihres Standes erwartete.
    Sie war gerade dabei, die im Kontor gelagerten Stoffballen auf Motten und anderes gefürchtetes Ungeziefer hin zu untersuchen, als der Knecht aufgeregt hereinstürzte, um ihr zu berichten, was sich zugetragen hatte.
    Eleonores schmales Gesicht mit der hohen Stirn zeigte keinerlei Regung; nur die schönen goldbraunen Augen blitzten ärgerlich ob der Störung auf. Sie legte den Stoff zur Seite und stieg mit angemessenen Schritten die steile Treppe zu Maries Kammer empor.
    Die Herrin des Hauses hatte nie besonders viel für ihre jüngste Tochter übriggehabt, deren unnatürlich weiße Haut ein Erbteil der Familie ihres Mannes war und mit der sie auch sonst nur wenig gemein hatte. Marie war es außerdem gewesen, die Eleonores Traum, ihrem Mann einen Sohn schenken zu können, endgültig zunichtegemacht hatte.
    Maries Geburt war schwer gewesen, und irgendein Körperteil war damals in ihrem Inneren so sehr beschädigt worden, dass sie nie wieder ein Kind hatte bekommen können. Zusammen mit ihrem Schoß hatten sich auch ihre Brüste für immer verschlossen.
    Doch Gott hatte andere Pläne mit Marie gehabt und entschieden, das zarte Mädchen leben zu lassen. Noch am Tage ihrer Geburt hatten sie eine halb verhungerte junge Frau vor ihrer Türe gefunden, die zudem gerade ihr Neugeborenes verloren hatte; ihre Brüste waren schwer von Milch gewesen.
    Auf Eleonores
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