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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition)
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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und Mitleid mit der im Todeskampf zuckenden Ratte zusammen. Auch wenn die meisten Menschen Ratten für Ausgeburten der Hölle hielten, waren sie doch gleichfalls Geschöpfe Gottes, die wie jedes andere Lebewesen Schmerz empfanden.
    Marie glaubte die unerträglichen Schmerzen des Tieres am eigenen Leib zu verspüren, und sie bekam zunehmend immer weniger Luft zum Atmen. Der Raum um sie herum begann auf einmal leer und kleiner zu werden. Was übrig blieb, war allein das furchtbare Knacken der Knochen im Leib der Ratte, das ihr in den Ohren dröhnte. Ein heftiger Schwindel ließ den Boden unter ihren Füßen wanken, und obwohl sie versuchte dagegen anzukämpfen, gelang es ihr nicht. Mit weit geöffnetem Mund rang sie verzweifelt nach Luft, dann schwanden ihr die Sinne, und sie sank bewusstlos auf das harte Kopfsteinpflaster.
    Für die Gassenjungen, die überall stets dort auftauchten, wo es Fremde gab, und nur auf eine Gelegenheit lauerten, diese zu bestehlen, waren die Hunde eine willkommene Abwechslung. Vergnügt bildeten sie johlend einen Kreis um die miteinander kämpfenden Tiere. Beide Hunde hatten ihre Reißzähne jetzt tief in der Ratte vergraben und zerrten sie knurrend zwischen sich hin und her. Niemand achtete dabei mehr auf Marie, die sich mittlerweile von schweren Krämpfen geschüttelt auf dem harten Kopfsteinpflaster wand.
    Stattdessen wurden schon die ersten Wetten auf die Hunde abgeschlossen und per Handschlag bekräftigt. Endlich war es den Tieren gelungen, die Ratte in zwei Teile zu reißen. Mit ihrer Beute im Maul suchten sie sich einen Weg zwischen den Beinen der Neugierigen und stoben in verschiedene Richtungen davon.
    Erst jetzt wurden die Menschen auf das bewusstlos am Boden liegende Mädchen aufmerksam. Dunkle, weit aufgerissene Augen starrten den Gaffern blicklos entgegen, während der schmale Mädchenkörper immer wieder von Krämpfen geschüttelt wurde. Schaum rann Marie aus beiden Mundwinkeln und bildete eine kleine Pfütze auf den Steinen, und ihr vorher ebenmäßiges Gesicht war durch den Anfall zu einer hässlichen Fratze verzerrt, die den Menschen kleine Schauer über den Rücken laufen ließ.
    Wieder bildete sich ein Kreis, und die Menschen stierten nunmehr genauso auf das zuckende Mädchen herab, wie sie zuvor auf die Hunde gestarrt hatten. Keiner der Zuschauer kam Marie zu Hilfe. Die Vorsichtigen unter ihnen hielten einen wohl berechneten Abstand zu dem Mädchen ein, während sich die Neugierigen weiter nach vorne drängten, um sich nur ja nichts von dem spannenden Schauspiel entgehen zu lassen.
    „Es ist Marie, die Tochter des Tuchhändlers. Sie ist von Dämonen besessen“, brüllte einer der Gassenjungen in die schweigende Menge hinein, die sich noch nicht schlüssig war, was sie von dem Ganzen halten sollte und ob es hier überhaupt mit rechten Dingen zuging.
    Ein kräftiger Mann mittleren Alters, bei dem es sich den feinen Kleidern nach zu urteilen um einen reichen Kaufmann handelte, sah den Jungen scharf an. „Was stehst du dann noch hier herum? Lauf und hol ihn“, forderte er mit Befehls gewohnter Stimme.
    Verärgert, seinen Mund so weit aufgerissen zu haben, kam der Junge dem Befehl nach und rannte, so schnell er konnte, auf die schmalen, mehrstöckigen Fachwerkhäuser der Kaufleute und Händler zu, die sich eng aneinandergedrängt um den nahen Marktplatz herum zogen.
    Geschickt sprang er dabei von einem Trittstein zum anderen, um nicht in den knöcheltiefen Unrat zu treten, der sich zwischen und neben den Platten befand. Jetzt würde er gewiss das Beste verpassen, doch er tröstete sich mit dem Gedanken, mit ein wenig Glück vielleicht etwas zu essen für seine Gefälligkeit heraushandeln zu können, und er sollte nicht enttäuscht werden.
    Auf sein drängendes Klopfen hin wurde ihm die Türe zum Haus des Tuchhändlers von Elsa, der Magd der Familie, geöffnet. Misstrauisch sah sie auf den Jungen herab, dessen zerrissene Kleider vor Schmutz starrten.
    „Was gibt es denn so Dringendes, dass du beinahe die Türe einschlägst?“, fragte sie unfreundlich.
    „Marie ist zu Boden gefallen und sieht ganz komisch aus“, gab der Junge zur Antwort. „Ungefähr so.“ Geschickt imitierte er das Zucken von Maries Gliedern und stellte erfreut fest, dass die Magd vor Schreck ganz blass wurde.
    „Gott im Himmel, führe mich sofort zu ihr“, befahl ihm Elsa aufgeregt. Sie wischte ihre mit Mehl bestäubten Hände an der Schürze ab und rief dann nach dem Knecht, der mit hochrotem Kopf
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