Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die blonde Witwe

Die blonde Witwe

Titel: Die blonde Witwe
Autoren: Alexander Borell
Vom Netzwerk:
zwischen die Augen des Mannes, und drückte ab. Der Schuß dröhnte, und ich spürte den Rückstoß im Arm. Der Mann aber blieb regungslos, lächelte weiter. Ich schoß noch einmal. Der Mann reagierte überhaupt nicht, obwohl ihm das Blut aus der Wunde sickerte. Ich schoß in sinnloser Wut, vielleicht auch in panischem Entsetzen die ganze Trommel leer, zählte die sechs Schuß mit, und der Mann lächelte. Ich spürte den Wind, der Hagel brachte. Die Körner prasselten auf mich ein, schmerzten, wurden endlich weich und groß, wurden zu Bündeln von Banknoten. Sie türmten sich über mir auf und drohten mich zu ersticken. Da wachte ich auf.
    Die Bettdecke lag über meinem Gesicht. Ich bekam kaum Luft und war in kalten Schweiß gebadet. Warum nur lasse ich mich immer wieder verleiten, nachts Whisky zu trinken, obwohl ich die Folgen kannte.
    Ich stand auf, ging ins Bad und duschte, bis mein Hirn allmählich wieder klar wurde und richtig arbeitete.
    Als ich in mein Zimmer zurückgekehrt war, fiel mein Blick auf das Geld auf dem Tisch. Dreißig halbe Hundertmarkscheine, in der Mitte durchgerissen. Und daneben drei von den anderen Hälften.
    Ich schaute mich im Zimmer um und fragte mich, ob ich noch immer träumte. Aber es war tatsächlich mein Zimmer. Die scheußliche, hellgelbe Tapete mit den lila Blümchen, die knarrende Bettcouch, der Kleiderschrank aus billigstem Eschenfurnier, der Tisch, die beiden Sessel mit ihrem Warenhausbezug, der Boucléteppich in grau mit hellblauen Punkten — es war mein möbliertes Zimmer, für das ich Frau Wagner dreimal hundertzwanzig Mark Miete schuldete.
    Und vor meinem Bett auf dem Boden lag die Maskerade von gestern abend: die uralte, verschabte Kordhose, das zerrissene Hemd, meine alte Kletterjacke, geflickt und durchgeschwitzt.
    Ich zündete mir eine Zigarette an; sie schmeckte nach vermodertem Stroh. Dann nahm ich die halbierten Hundertmarkscheine in die Hand. Ich suchte die drei Hälften heraus, die mit den anderen drei Hälften übereinstimmten. Die restlichen siebenundzwanzig stopfte ich in meine Hosentasche, holte sie wieder hervor und versteckte sie in einem meiner Bücher. Hauswirtinnen schnüffeln gern, und meine tat es aus Leidenschaft. Sie brauchte dieses verräterische Geld nicht bei mir zu finden.
    Schließlich klebte ich die drei kompletten Hunderter mit durchsichtigem Klebeband zusammen, und als ich gerade damit fertig war, kam Frau Wagner mit dem Frühstück.
    Dürr und säuerlich stand sie in der Tür, viel zu säuerlich für drei Monatsmieten Schulden. Wortlos stellte sie mir das Tablett mit Kaffee, Brötchen und dem Klecks Marmelade auf den Tisch, dann sagte sie mürrisch: »Spät geworden heute nacht, was? Mit Betrinken hat noch niemand Geld verdient.«
    Ich war zu müde, um ihr zu antworten. Stattdessen reichte ich ihr einen der geklebten Hunderter.
    »Vorschuß«, sagte ich. »Am Donnerstag kann ich den Rest bezahlen.«
    Ihre kleinen Krokodilaugen bekamen wieder Glanz. Mit knöchernen Fingern griff sie nach dem Schein, fuhr mit den Fingerspitzen darüber hin, hielt ihn gegen das Fenster, verglich die Nummern auf den beiden Hälften.
    »Er gilt«, sagte ich, »auch wenn er durchgerissen war. Ein Versehen.«
    Ihre Hände krampften sich um den Schein, ihr säuerliches Gesicht wurde eine Spur glatter.
    »Am Donnerstag den ganzen Rest?« fragte sie.
    »Bestimmt. Ich habe — Vorschuß bekommen.«
    »Ihr Glück. Schließlich lebe ich von den Mieten. Sie müssen das verstehen; ich bin keine reiche Frau und erst recht keine Bank, die Kredit gewähren kann.«
    »Schon gut.«
    Ich atmete auf, als sie endlich wieder draußen war. Aber der Kaffee schmeckte säuerlich, die Marmelade auch, und die Brötchen waren alt und weich.
    Eine halbe Stunde später fuhr ich, frisch rasiert und mit zwei geklebten Hundertmarkscheinen in der Tasche, mit der Straßenbahn zum Bahnhof, um meinen Wagen abzuholen. Er stand im vierten Stock der Hochgarage, und mir schien, als blinzele er mir vergnügt zu.
    Ich ließ mich vom Verkehr über den Stachus und durch die Kaufingerstraße spülen, fuhr an meine Tankstelle und bezahlte meine Schulden. Der junge Inhaber fuhr sich mit der ölverschmierten Hand durch das blonde Haar und grinste.
    »Na, sehen Sie, Herr Petersdorff, irgendwie geht es immer wieder weiter. Hoffentlich können Sie es entbehren. Ich würde schon noch warten. So hoch ist Ihre Rechnung ja noch nicht.«
    »Es geht schon«, sagte ich und gab ihm den zweiten Geklebten. Auch er prüfte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher