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Die blonde Witwe

Die blonde Witwe

Titel: Die blonde Witwe
Autoren: Alexander Borell
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ich.
    Der Alte an meinem Tisch schlief schon wieder.
    Ein Junge kam, sehr blond und lockig, setzte sich mir gegenüber und starrte mich herausfordernd an.
    »Willst du was?« fragte er. »Läßt du was springen?«
    »Hab’ selber nichts«, sagte ich.
    Er spuckte auf den Boden und drängte sich zur Theke.
    Es hatte mir einige Mühe bereitet, mich so anzuziehen, daß ich hierher paßte, daß aus dem Journalisten Petersdorff ein Kerl wurde, der hier genauso verloren, genauso abgebrüht und genauso verschlagen wirkte, wie die übrigen.
    Viertel nach elf. Ich konnte die beiden Eingänge beobachten. Die Leute, die jetzt hereinkamen, waren naß. Das Gewitter war also doch gekommen, eigentlich viel zu früh für Ende April.
    Ich ging sparsam um mit meinem Bier; es mußte lange reichen. Es war der 29. April, und ich hatte weder Geld für meine Miete noch für andere dringende Schulden. Einen Artikel wollte ich schreiben, einen spannenden Artikel über das Treibgut einer Großstadt, das nachts hier am Bahnhof zusammengeschwemmt wird. Mitmachen wollte ich, vielleicht bei einem kleinen Automateneinbruch oder sonst etwas.
    Als ich mein Bierglas abstellte, sah ich sie.
    Sie saß nur zwei Tische weiter, und sie paßte hierher, wie ein Vergißmeinnicht in eine Mülltonne.
    Ihre blaugrauen Augen waren auf die beiden Türen gerichtet, voll innerer Spannung, wie Kinder auf den Vorhang in einem Zirkuszelt starren. Sie war noch jung, viel zu jung, um hier zu sitzen.
    Elf Uhr fünfundzwanzig. Ich hatte noch Zeit.
    Ich stand auf, ging zu dem Zigarettenautomaten, neben dem sie saß, und zog mir eine Packung heraus. Dann drehte ich mich zu ihr um.
    Im gleichen Augenblick kam ein Mann an ihren Tisch, dürr und schmuddelig, mit einem Geiergesicht voll Gier. Er legte ihr seine Hand auf die Schulter, und ich sah, wie sie zusammenzuckte und eine Bewegung machte, als wolle sie flüchten.
    Mit zwei Schritten war ich bei ihr und schob den Kerl beiseite.
    »Hände weg, Freundchen«, sagte ich. »Die gehört mir.«
    Der Hagere schoß einen Giftblick auf mich ab, schätzte meine Kraft und verzog sich. Ich beugte mich zu ihr hinunter.
    »Verzeihen Sie, ich wollte Sie von diesem Ekel befreien.«
    Ihr Blick streifte mich flüchtig. Ich hatte meine Aufmachung vergessen. Sie mußte mich für ein ähnliches Kaliber halten. Deshalb sagte ich rasch: »Mein Aufzug täuscht. Ich bin Journalist und suche hier eine Story.«
    Ohne sie zu fragen, setzte ich mich ihr gegenüber. Sie war achtzehn, vielleicht auch noch jünger. Sie trug ihr blondes Haar kurzgeschnitten und schlicht. Sie hatte keinen Koffer bei sich, nur eine Handtasche, und die war nicht billig gewesen. Auch ihr helles, sportliches Kostüm sah nicht nach Konfektion aus.
    »Warten Sie auf jemanden?«
    Ich spürte förmlich die Abwehr in ihr.
    »Geht Sie das etwas an?« fragte sie. Ihre Stimme war weich, mädchenhaft und eine Spur zu forsch. Ich hörte das Zittern durch.
    »Nicht direkt«, sagte ich. »Aber streng genommen dürften Sie um diese Zeit hier doch nur in Begleitung Erwachsener sitzen. Ich glaube, daß ich besser dazu tauge, als der Bursche dort drüben.«
    Ein kurzer Blick streifte mich, dann waren ihre Augen wieder auf die Türen gerichtet. Ein leeres Teeglas stand vor ihr, und ihre schlanken Finger spielten nervös mit dem Teelöffel.
    »Bitte, glauben Sie mir«, sagte ich und bot ihr eine Zigarette an, »ich bin kein Kinderfresser. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    »Ja«, sagte sie. »Lassen Sie mich allein.«
    »Überall woanders würde ich das sofort tun. Aber nicht hier. Warten Sie auf einen Zug? Dann werde ich auch warten und Sie zum Bahnsteig bringen. Oder warten Sie — auf Ihren Freund? Das wäre der einzige Grund für mich, sofort aufzugeben.«
    Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
    Sie nahm eine meiner Zigaretten. Ich gab ihr Feuer.
    »Wirklich«, fuhr ich fort, »ich suche eine Geschichte und glaubte sie hier zu finden. Ich dachte an Rauschgift, Kuppelei oder wenigstens an ein bißchen Unsittlichkeit. Sogar eine Prügelei würde mir reichen. Aber nichts davon. Hier ist alles friedlich und brav, wie in einem Kindergarten.«
    Eine dicke Kellnerin kam an unseren Tisch und sah uns aus rotgeränderten Augen mißbilligend an. Frankfurter oder Düsseldorfer oder Fallingbosteler Kellnerinnen gibt es überall auf der Welt; sie sprechen höchstens verschiedene Sprachen. Aber Münchener Kellnerinnen gibt es nur in München. Entweder sind sie grob und
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