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Die blaue Sonne der Paksi

Die blaue Sonne der Paksi

Titel: Die blaue Sonne der Paksi
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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dem Wald heraus: der Götterbote mit mehreren Begleitern, die wie er dunkel und ohne Folie waren.
    Der Götterbote winkte. Von der Waldseite her näherten sich Kisa und Raja, die ihn begleitete, von der Flußseite her der Iskatoksi, und neben ihm – ja, das war Ito.
    Es wurde lange und ausgiebig verhandelt. Man schlug dem Iskatoksi vor, er solle abdanken, berichtete ihm von den Aufständen und machte ehrenhafte Bedingungen. Er aber lehnte alles ab. Offenbar verließ er sich auf das verlorene Wort und den Strahler, den er sichtbar trug.
    Da ordnete Hellen an, Raja solle ihm sagen, daß das Wort geändert sei.
    Raja trat vor ihn hin. „Der Iskatoksi weiß“, sagte sie, „daß die Fremden die Wahrheit sprechen. Der Iskatoksi möge wohl erwägen, was sie ihm jetzt sagen. Er baut darauf, daß er das verlorene Wort kennt. Aber das Wort wurde geändert. Es ist sein Tod, wenn er die alten Götter versucht!“
    Der Iskatoksi würdigte sie keiner Antwort. Nur seine Hände lachten – lachten grob und höhnisch. Dann drehte er sich um und schritt auf die Kuppel zu.
    Hellen gab ein Zeichen. Juri, Tondo und Utta legten die Hände auf die Steuerung der Gravimodulatoren.
    Noch zehn Schritte vielleicht.
    Hellen sah Ming an, aber der senkte die Augen. Nein, von ihm konnte sie keine Hilfe bei dieser Entscheidung erwarten, hier war er überfordert.
    Da ging, wenn sie nicht eingriffen, ein gesellschaftliches Wesen in den Tod, man könnte sagen, durch eigene Schuld, aber das wäre nicht wahr. Dieses Wesen war in seinen historischen Vorstellungen befangen und übersah nicht die Zusammenhänge. Schuld waren die Menschen, wenn es geschah. Und wenn es nicht geschah, wenn sie ihn daran hinderten? Sie waren sich einig gewesen, daß sie dies oder ähnliches würden verhindern müssen, aber in diesem Augenblick erkannte Hellen, daß ihre Einigkeit in dieser Frage zwar ihrer Moral entsprach, aber nicht der der Paksi.
    Noch fünf Schritte.
    Und wenn sie ihn hinderten, ihm den Weg verlegten? Würden dann die beiden Heere übereinander herfallen? Oder nicht? Wer konnte das sagen. Eine Entscheidung mußte gefällt werden, deren Folgen nicht absehbar waren, die man nicht durch ausreichende Information vorbereitet hatte und mit der man so oder so eine schwere moralische Schuld auf sich lud, eben die Entscheidung, die Hellen die ganze Zeit über schon geahnt und gefürchtet hatte. Und sie konnte sie niemand anderem überlassen, nicht Tondo, der vielleicht vom Gesellschaftlichen mehr verstand, aber viel zu jung war, nicht Juri, Utta, Raja und leider auch nicht Ming. Es war ihre Entscheidung, mit der und deren Folgen sie würde leben müssen.
    Noch zwei Schritte.
    Tondo hob unruhig den Kopf.
    Ein gesellschaftliches Wesen. Zwei Heere. Hellen trat an das Pult. Sie war die einzige, die sich jetzt bewegte. Langsam, mühevoll hob sie die Hand und – schaltete die Gravigeneratoren ab.
    Alle Köpfe fuhren ruckartig zu ihr herum und drehten sich dann langsam wieder zu den Bildschirmen zurück.
    Der Iskatoksi trat einen weiteren Schritt vor.
    Der Eingang der Kuppel begann sich zu öffnen.
    Noch einen Schritt, noch einen.
    Ein heller Strahl, der Iskatoksi krümmte sich, und dann explodierte etwas an ihm, wohl der Strahler, den er in der Hand gehalten und betätigt hatte.
    Hundert Schritte davon entfernt nahm der Götterbote den Arm Kisas und hielt ihn hoch empor – eine einfache und verständliche Geste.
     
    Hellen blieb nach dem Start aus der Parkbahn am Bildschirm, bis die optische Wiedergabe des Planeten erlosch.
    „Es war richtig“, sagte Tondo, der neben ihr geblieben war.
    „Aber das konnte ich nicht wissen“, sagte Hellen.
    „Du hast doch vorausgesehen, daß es so und nicht anders kommt!“ sagte Tondo. „Das habe ich doch sogar gewußt. Oder würde es gewußt haben, wenn ich gründlicher nachgedacht hätte.“
    Hellen schüttelte den Kopf. „Richtig ist solch eine Entscheidung immer erst hinterher. Vorher kannst du dich höchstens fragen, ob sie menschlich ist.“ Sie lächelte. „Wußte die ‚Cotopaxi‘-Besatzung etwa genau, was mit ihren Geschöpfen geschehen würde?“ Und dann fügte sie mit dem Blick auf die eigene Zukunft hinzu: „Weiß denn ein Erzieher immer genau, ob er richtig entscheidet? Kommt es nicht mehr darauf an, daß er das menschlich tut?“
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