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Die Bismarcks

Die Bismarcks

Titel: Die Bismarcks
Autoren: Jochen Thies
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Freund fürs Leben wurde. Er war das genaue Gegenteil von Bismarck, ein Romantiker und Anhänger des wissenschaftlichen Arbeitens. Der begabte Pianist trug Bismarck Werke von Beethoven und Chopin vor. Wie in Göttingen lebte Bismarck auch in Berlin finanziell über seine Verhältnisse und hatte deswegen häufig Auseinandersetzungen mit seinem Vater. Beim Beefsteakessen in Berlin fragte er Keyserling: »Where shall we take the money?« Dieser Satz wurde zu einer Standard-Redensart. Spätestens beim Weihnachtsfest gab es eine Versöhnung mit dem Vater. Bismarck hatte zuvor damit gedroht, wie er seinem Freund schrieb, im Notfall »lieber Mohammedaner (zu) werden, als länger Hunger zu leiden«. Die Freundschaften, die Bismarck in diesen Jahren einging, hielten übrigens lebenslang. Wenige kamen hinzu.
    Das galt auch für die Begegnung mit einem jungen, mittellosen Leutnant im Sommer 1834, der sich wie sein Kamerad Helmuth von Moltke beim Topografischen Dienst des preußischen Generalstabs Geld zum Lebensunterhalt hinzuverdiente, Albrecht von Roon. Dieser hatte seinen Neffen Moritz von Blanckenburg eingeladen, ihm bei der Arbeit zu helfen, er könne einen Freund mitbringen. Dadurch kam es zur Begegnung des 19-jährigen Otto mit dem zwölf Jahre älteren Offizier. Sie sollte für Bismarck karriereentscheidend werden. 16
    In Berlin entdeckte Bismarck, mittlerweile 20   Jahre alt, auch das andere Geschlecht. Er hatte nun eine Reihe von Affären. Keyserling schrieb über ihn, dass Bismarck »dem Naturtriebe ohne große Skrupel« folge. 17 In den Briefen aus dieser Zeit entwickelte sich Bismarcks Spottlust weiter. Er gewöhne sich an, berichtete er, geziert in der Öffentlichkeit aufzutreten und französisch zu sprechen. Den größten Teil seiner Zeit verbringe er mit Anziehen, den Rest mit Privatbesuchen und »bei meiner alten Freundin, der Flasche«. Beim Opernbesuch am Abend, so Bismarck weiter, benähme er sich im ersten Rang so flegelhaft wie möglich.
    Der Betrieb in der Universität, die als neues Zentrum des geistigen Lebens in Deutschland einen rasanten Aufstieg nahm, ging an Bismarck vorbei. Nur zweimal war er in Vorlesungen von Savigny, aber nie bei Gans, Savignys Antipoden, oder bei dem Historiker von Ranke, dem Philosophen Trendelenburg oder dem Geografen Ritter. Vorlesungen im eigenen Fach besuchte er ohnehin nicht. Die Substanz, das Potenzial des jungen Bismarck wurden jedoch schlagartig deutlich, als er nach insgesamt sechs Studiensemestern sein Examen ablegte. Binnen weniger Monate, wahrscheinlich sogar innerhalb weniger Wochen und Tage, hatte er sich mithilfe eines Repetitors das für die Prüfung erforderliche Wissen angeeignet. Wie zum Abitur hatte er sich zum Staatsexamen zum frühestmöglichen Zeitpunkt angemeldet. Im Mai 1835 bestand er beim Kammergericht das erste juristische Examen mit »Recht gut« im praktischen Teil und »Hinreichend« in der Theorie. Anschließend war Otto verärgert darüber, dass der größte Teil des hastig erlernten Stoffs in der Prüfung gar nicht abgefragt worden war.
    Wenige Tage später wurde Bismarck Kammergerichts-Auskultator, was dem heutigen Referendar entspricht. Er bearbeitete Bagatelldelikte und führte bei Verhandlungen Protokoll. Im Januar 1836 beantragte er beim zuständigen Regierungspräsidenten, von der Justiz- in die Verwaltungslaufbahn überzuwechseln zu dürfen und das hierfür erforderliche Referendarexamen in Aachen ablegen zu können. Er erhielt die Genehmigung und unternahm auf Umwegen eine luxuriöse Reise zum neuen Ausbildungsort. Sie führte ihn über Leipzig, Frankfurt am Main, Wiesbaden und Rüdesheim zum Binger Loch. Am Rhein bestieg Bismarck einen Dampfer, der ihn zusammen mit britischen Reisegruppen nach Köln beförderte, von wo er schließlich in die Kaiserstadt gelangte. In Aachen musste Bismarck zwei Probearbeiten anfertigen, die sehr gut bewertet wurden. Auch das mündliche Examen klappte hervorragend. Im Prüfungsprotokoll hieß es, Bismarck habe eine vorzügliche Urteilskraft gezeigt, besitze eine schnelle Auffassungsgabe und sei gewandt im Ausdruck. 18
    Der Gedanke, Diplomat zu werden, nahm nun konkretere Gestalt an. Bereits in Berlin hatte Bismarck mit dem preußischen Außenminister Ancillon über diese Möglichkeit gesprochen. Der in Aachen für ihn zuständige Regierungspräsident, ein Adliger aus der Mark, der seine Familie kannte, förderte diesen Berufswunsch. Anders als die meisten anderen Referendare sollte Bismarck nicht die
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