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Die Bismarcks

Die Bismarcks

Titel: Die Bismarcks
Autoren: Jochen Thies
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ironisiert. Er schleppe sich mit einer »krankhafte(n) Faulheit« herum, schrieb er, an der er seit Langem leide. 23 In Wirklichkeit bestand diese Faulheit darin, beim stundenlangen Herumstreifen mit der Flinte die Landschaft auf sich einwirken zu lassen und Gedanken und Versatzstücke für Briefe und öffentliche Auftritte zu entwickeln. Eine sehr bildhafte, sehr einprägsame und für ihre Zeit äußerst elegante Sprache bildete sich bei ihm in diesen verspäteten Jugendjahren heraus. Sie kam auch dadurch zustande, dass Bismarck nun Bücher aufschlug. Besonders gern vertiefte er sich in die englische Literatur, er las wie in Berliner Studentenzeiten Byron, Shakespeare, aber auch Edward Bulwer-Lytton, Thomas Moore, Laurence Sterne und Henry Fielding.
    Um sich wichtige Textpassagen besser merken zu können, fertigte Otto Exzerpte an und notierte in seinen Notizbüchern Textstellen aus englischen, französischen und deutschen Büchern. In deutscher Sprache bevorzugte er historische Literatur, las sehr gerne Goethe und Heine, dessen doppelbödige Ironie der eigenen ähnelte, sowie die Lyriker Rückert und Uhland, Lenau und Chamisso, neben dem Lieblingsdichter Byron ein starker Hinweis auf einen romantischen Zug bei Bismarck. »Life is a shadow play«, hat er einmal nach der Lektüre von Shakespeares Macbeth notiert.
    Aus der Einsamkeit des Lebens auf dem Gutshof brach Bismarck aus, wann immer ihm danach zumute war. So besuchte er Teerunden, Kaffeekränzchen, Bälle und Theateraufführungen in den Seebädern und Garnisonsstädten entlang der pommerschen Küste. Er war ein eleganter und begehrter Tänzer. Mitunter war er dafür 80   Kilometer zu Pferde unterwegs. Nicht nur aufgrund seiner hochgewachsenen Statur stand er in der Regel im Mittelpunkt derartiger Zusammenkünfte. Bismarck unterhielt auch engen Kontakt zu seinen Standesgenossen, den von Bülows, Dewitz, Marwitz, von der Osten und Thadden. Sein direkter Nachbar Ernst von Bülow-Cummerow hatte ihm in wirtschaftlich kritischen Phasen mit Krediten beigestanden. In Berlin, wohin Bismarck zu dieser Zeit keine besonderen Kontakte hatte, starb König Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1840, ein schwacher Monarch, ein Zauderer. Im Alter von 45   Jahren folgte ihm sein Sohn Friedrich Wilhelm IV. auf den Thron. Auf ihn richteten sich nun viele Hoffnungen.
    Die mitunter hektischen Aktivitäten Bismarcks konnten jedoch nur mühsam die innere Leere überdecken, die sich bei ihm allmählich ausbreitete. Abends im Lehnstuhl bei seinem Lieblingsgetränk Sekt mit Porter sitzend, fragte er nach dem Sinn des Lebens. An einen Studienfreund und Korpskollegen schrieb er: »Seitdem sitze ich hier, unverheiratet, sehr einsam, 29   Jahre alt, körperlich wieder gesund, aber geistig ziemlich unempfänglich, treibe meine Geschäfte mit Pünktlichkeit, aber ohne besondere Teilnahme, suche meinen Untergebenen das Leben in ihrer Art behaglich zu machen und sehe ohne Ärger an, wie sie mich dafür betrügen. Den Vormittag bin ich verdrießlich, nach Tische allen milden Gefühlen zugänglich. Mein Umgang besteht in Hunden, Pferden und Landjunkern, und bei Letzteren erfreue ich mich einigen Ansehens, weil ich Geschriebenes mit Leichtigkeit lesen kann, mich zu jeder Zeit wie ein Mensch kleide, und dabei ein Stück Wild mit der Akkuratesse eines Metzgers zerwirke, ruhig und dreist reite, ganze schwere Zigarren rauche und meine Gäste mit freundlicher Kaltblütigkeit unter den Tisch trinke. Denn leider Gottes kann ich nicht mehr betrunken werden, obschon ich mich dieses Zustandes als eines sehr glücklichen erinnere. So vegetiere ich fast wie ein Uhrwerk, ohne besondere Wünsche oder Befürchtungen zu haben; ein sehr harmonischer und sehr langweiliger Zustand …« Bei anderer Gelegenheit schrieb er an den gleichen Adressaten: »Ich treibe willenlos auf dem Strom des Lebens ohne ein anderes Steuer als die Neigung des Augenblicks, und es ist mir ziemlich gleichgültig, wo er mich an’s Land wirft.« 24 Der Bismarck-Biograf Otto Pflanze hat diese Jahre als »psychosoziales Moratorium« bezeichnet.
    Zu der innerlichen Leere Bismarcks trug maßgeblich bei, dass er bei Frauen weiterhin kein Glück hatte. Nach mehreren Affären hielt er um die Hand der Gutsbesitzertochter Ottilie von Puttkamer an und wurde von der Mutter brüsk zurückgewiesen. Bismarck reagierte schwer gekränkt. Seinem Jugendfreund von Klitzing schrieb Bismarck, dass ihm »zur Zeit die Freiersfüße gänzlich erfroren« seien. »Ich
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