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Die Bismarcks

Die Bismarcks

Titel: Die Bismarcks
Autoren: Jochen Thies
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brodelte es. Preußen war zu diesem Zeitpunkt ein sprachlicher und kultureller Flickenteppich. Die Hälfte seiner Staatsbürger gehörte erst seit 15   Jahren zu diesem Staat. Es war »ein Königreich der Fetzen und Flicken«, wie es ein schottischer Reisender in den 1840er-Jahren beschrieb. Erst als Bismarck über 60   Jahre alt war, wurde Deutsch als Amtssprache für ganz Preußen festgelegt. Nie hat es eine preußische Küche, Folklore, Sprache, Musik oder Kleidung gegeben. 12
    In diesem Klima begann der junge Otto von Bismarck sein Studium. In Göttingen suchte er rasch Anschluss und Gemeinschaft in einem schlagenden Korps. Bei zahlreichen Mensuren ging er das Risiko ein, sich Schmisse im Gesicht zu holen. Er war jedoch ein hervorragender Fechter, kam in der Regel ungeschoren davon und erhielt deswegen bald den Spitznamen »Achilles, der Unverwundbare«. Bismarck, der unglaubliche Mengen an Alkohol vertrug, ließ kein Trinkgelage aus und schrieb im November 1833 einem Freund: »Willst Du diesen Brief in derselben Stimmung lesen, in welcher er geschrieben ist, so trinke erst 1   Fl. Madeira.« 13
    Von Beginn seines Studiums in Göttingen an machte Bismarck deutlich, dass er etwas Besonderes war, dass er zur Elite des Landes gehörte. Auch aus diesem Grund hielt er trotz aller Saufereien Abstand zu seinen Korpsbrüdern. Lediglich einige Ausländer gehörten zu seinen wirklichen Freunden, darunter der US -Amerikaner John Lothrop Motley. Motley, der später Historiker und Diplomat wurde, schrieb einen Studentenroman über die Zeit in Göttingen, in dem er Bismarck als »Otto von Rabenmark« auftreten lässt. Rabenmark will Anführer sein, andere Menschen anleiten. Bismarck kleidete sich wie ein Dandy und wurde in der Universitätsstadt nach einer durchzechten Nacht im hellen Schlafrock oder in einem apfelgrünen Frack gesichtet. Eine riesige Dogge, die auf den Namen »Ariel« hörte, begleitete ihn. Gegenüber einem Studienfreund trompetete er heraus: »… ich werde entweder der größte Lump oder der erste Mann Preußens.« 14
    Das Studium kam unter solchen Umständen zu kurz. Bismarck besuchte keine juristischen Vorlesungen und ging in der Regel nur dann zur Universität, wenn er wegen seiner Eskapaden auf dem Verbindungshaus eine Karzerstrafe zu verbüßen oder vor dem Universitätsrichter zu erscheinen hatte. Schon damals war das Jurastudium in Deutschland in außeruniversitäre Kurse ausgelagert. Was er zum Examen benötigte, glaubte Bismarck im Übrigen per Buchlektüre bewältigen zu können. Er hat später die Auffassung vertreten, die Universität sei die »heilloseste Anstalt«. Man lerne hier nichts anderes, als seine Gesundheit zu »verwüsten« und ein nichtsnutziges Leben zu führen. 15 Wissenschaftliches Arbeiten war Bismarcks Sache jedenfalls nicht.
    Es gab jedoch eine Ausnahme, die Vorlesungen des Historikers Friedrich Heeren. Wie bereits im Grauen Kloster ansatzweise zu beobachten, war Bismarck von der internationalen Staatenwelt fasziniert. Heeren hatte ein Handbuch mit dem Titel Geschichte des europäischen Staatensystems und seiner Kolonien verfasst. Im Kern ging es Heeren um ein funktionierendes System der internationalen Beziehungen. Für den jungen Bismarck hatte die Begegnung mit dem Historiker eine kolossale Ausweitung der Perspektive zur Folge. Beeindruckt von den Ausführungen des über 70-jährigen Professors, eines gebürtigen Bremers, vertiefte er sich in ergänzende Lektüre zu den Themen des von Adam Smith beeinflussten Wissenschaftlers. Heerens zweibändiges Werk Ideen über Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der Welt hatte schon Goethe als eines der wichtigsten Bücher der Epoche bezeichnet. Das Interesse Bismarcks für Weltpolitik sollte bestehen bleiben. Er dachte fortan in globalen Zusammenhängen, suchte den Kontakt zu Ausländern und hatte auf seinem Schreibtisch immer Atlanten und Landkarten zur Hand.
    Nach drei Semestern in Göttingen setzte Bismarck sein Studium in Berlin fort. An der gerade 20   Jahre existierenden Friedrich-Wilhelms-Universität waren 2500 Studenten eingeschrieben, davon etwa ein Drittel Juristen. Mit Motley, der ihn begleitete, bezog Bismarck eine gemeinsame Wohnung. Sein Korps spielte keine Rolle mehr für ihn, zusammen mit weiteren Freunden und Bekannten gründete er ein »Englisches Kränzchen«, in dem Shakespeare und Byron gelesen wurden. In Berlin traf Bismarck den Balten Alexander Graf von Keyserling, der sein bester
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