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Die Bismarcks

Die Bismarcks

Titel: Die Bismarcks
Autoren: Jochen Thies
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fremd und nie wieder völlig darin heimisch geworden«, schrieb er später seinem künftigen Schwiegervater Heinrich von Puttkamer, als er um die Hand von dessen Tochter anhielt.
    Diese Entfremdung hatte viel mit der Einstellung von Bismarcks Mutter zu tun. Sie fühlte sich in Schönhausen und in Pommern nicht wohl, lehnte das Landleben ab und setzte sich mit ihren Vorstellungen von der Erziehung der Kinder schließlich gegen den Ehemann durch. »Schuld« daran hatte vor allem die preußische Erziehungs- und Bildungsreform, die Wilhelm von Humboldt 1809 auf den Weg gebracht hatte. Kurz nach der Geburt von Bismarck erklärten die preußischen Oberpräsidenten, dass das Land, heterogen wie es sei, nur durch den »Geist« zusammengehalten werden könne. Die Verwaltung suche die »Macht des öffentlichen Geistes« zu repräsentieren und zu lenken. Ein Kampf gegen den öffentlichen Geist sei sinnlos und führe nur zur Feindschaft zwischen Regierung und Volk. 9 In diesem Geist sollten nach dem Willen der Mutter die Söhne erzogen werden und eines Tages, auf den Spuren von Vater Mencken, hohe Beamte, Diplomaten, vielleicht sogar Minister werden.
    Eine Erziehung durch einen Hauslehrer, das allmähliche Heranführen an die staatliche öffentliche Schule, das Gymnasium, kamen für Wilhelmine Louise unter solchen Umständen nicht infrage. Sie blieb ein Kind der Residenzstadt Potsdam und wurde über die Jahre, auf dem Lande vereinsamend, ein verbitterter Mensch. Wann immer sich ein Anlass bot, verließ sie Kniephof und reiste von Kur zu Kur. Ein Kuraufenthalt war damals vor allem ein gesellschaftliches Ereignis. Der gutmütige Ehemann nahm die Extravaganzen seiner Frau hin.
    Zusammen mit dem Dienstpersonal kümmerte er sich um seine Kinder. Otto von Bismarck entwickelte dadurch eine engere Beziehung zum Vater als zur Mutter. Über sie hat er später einmal gesagt, sie sei eine schöne Frau gewesen, die Äußerlichkeiten liebte. Sie habe einen lebhaften Verstand besessen, aber nicht das, was der Berliner »Gemüt« nennt. Anscheinend fehlte Bismarcks Mutter bei allem Bemühen um eine gute Ausbildung und eine chancenreiche Zukunft ihrer Kinder so etwas wie Herzenswärme, aber auch ein Schuss Pragmatismus. Wilhelmine Louise glaubte, alles regeln zu können, operierte dabei aber hektisch und nervös. Ihr gemütvoller Mann klagte einmal, sie habe bei aller »clairvoyance« nicht vorausgesehen, dass die Wollpreise fallen würden.
    Im Alter von sechs Jahren verließ Otto von Bismarck also Kniephof. Nun brachen für ihn schwere Zeiten in Internaten an. Sie härteten ihn, machten ihn unabhängig und ließen den Jungen, wie viele seiner berühmt gewordenen Zitate beweisen, schon früh zu einem Spötter werden. Zu allem Unglück konnte er auch während der Sommerferien nicht nach Hause fahren, weil seine Mutter in dieser Zeit ihre obligatorische Badereise unternahm. Er wurde dann zu seinem Onkel Ludwig von Bismarck, den die Kinder »Onkel Fritz« nannten, nach Potsdam gebracht.
    Otto von Bismarcks erste Station fern des Elternhauses war die Plamannsche Lehranstalt in Berlin 10 , die vorwiegend von Beamtensöhnen besucht wurde. Als der Junge in dem Gebäudekomplex an der Wilhelmstraße eintraf, war von den Reformbestrebungen im Geist der Freiheitskriege, denen seine Mutter vertraute, nichts mehr zu spüren. Der Unterricht betonte das Formale, den Drill und ein hohles, deutschtümelndes Pathos. Ausreichend zu essen bekamen die Heranwachsenden auch nicht. Die Bebauung Berlins reichte damals bis zum Südwestende der Wilhelmstraße. Auf den ostwärts gelegenen Feldern, die sich vor den Augen der Internatsschüler ausbreiteten, bettelten sie die Feldhüter um einige Kohlrabi an und verschlangen sie gierig. In der Rückschau hat Bismarck die fünf Jahre verachtet, die er in dieser Anstalt verbringen musste. »Meine Kindheit hat man mir in der Plamannschen Anstalt verdorben, die mir wie ein Zuchthaus vorkam«, hat er später gesagt. Für zehn Jahre hörte er auf zu beten.
    Wenn Otto aus dem Fenster einem Ochsengespann zusah, das die Ackerfurche zog, kamen ihm die Tränen. Er hatte Sehnsucht nach dem Gut Kniephof. Die wenigen Jahre, die er dort verbracht hatte, hatten ihn wesentlich stärker geprägt, als es die Altmark je tun sollte. Bismarck war durch die Wälder und die hügelige Landschaft rund um das Gut gestreift und hatte die kindliche Freiheit genossen. Er kannte jede Ecke im Park, die Lichtungen, die Fischteiche und die alten Eichen. In
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