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Die Bibliothek des Monsieur Proust (German Edition)

Die Bibliothek des Monsieur Proust (German Edition)

Titel: Die Bibliothek des Monsieur Proust (German Edition)
Autoren: Anka Muhlstein
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ihm ihre leidenschaftliche Liebe gesteht. Der junge Mann bleibt ungerührt. Sie begreift, warum: Er liebt eine andere Frau. Von diesem Augenblick an verfolgt sie ihn mit mörderischem Haß, und das, obwohl sie ihn als einen unwürdigen Sohn und Liebhaber verschmäht haben würde, hätte er auch nur im mindesten zu erkennen gegeben, daß er an ihr interessiert sei. Der Erzähler erklärt, wie dieses Paradox ihm ein Licht über sein eigenes Leben aufsteckt: »Es gibt in unserer Seele Dinge, an denen wir mehr hängen, als wir selbst wissen. Entweder leben wir ohne sie, tun es aber, weil wir aus Furcht zu scheitern oder zu leiden, von einem Tag zum anderen aufschieben, uns in ihren Besitz zu bringen. So war es mir mit Gilberte ergangen, als ich glaubte, auf sie verzichtet zu haben … Oder aber die Sache ist in unserem Besitz, dann aber meinen wir, sie falle uns zur Last, und würden uns gern von ihr befreien; so war es mir mit Albertine ergangen. Kaum jedoch wird uns durch sein Fortgehen dieses eben noch gleichgültige Wesen entzogen, so können wir nicht mehr leben.« [ 8 ] Als Albertine anbietet, zurückzukommen, lehnt er ab, überzeugt, daß ihre Geste beweist, daß sie ihn tatsächlich liebt. Und wenn sie ihn liebt, braucht er ihre Anwesenheit nicht.
    Phèdre ist ein Symbol für l'amour-maladie , eine als Krankheit erlebte Liebe, wie sie der masochistischen Vorstellung des Autors entspricht. Diese Auffassung von Liebe wirft ihre Schattenvoraus in der Geschichte von den Mißgeschicken Swanns und Saint-Loups, die zeigen, daß wir am intensivsten lieben, wenn unsere Liebe nicht erwidert wird. In dieser Lage schürt die Eifersucht das Feuer, in dem wir brennen. Das Syndrom von Liebe und Eifersucht ist der Kern der unglücklichen Liebesaffäre mit Gilberte, die für Marcel jedoch kaum Folgen hat. Gründlich ausgeschöpft wird das Thema, als der Erzähler erkennt, daß er Albertine liebt und verloren hat. Die Gleichsetzung des Erzählers mit Phèdre ist überraschend, wird aber von Proust so unmittelbar vorgenommen, daß man sich fragen mag, ob sie für den Menschen Proust genauso gilt wie für den Erzähler. Diese Hypothese ist deshalb verführerisch, weil Phèdres Tragödie ihren Grund nicht nur in Hippolyts Hohn hat, sondern auch in der zerstörerischen Überzeugung, daß ihre leidenschaftliche Liebe zu ihm unmoralisch und schmachvoll ist. Proust konnte seine Homosexualität nicht akzeptieren oder gar genießen. Geheimnisse, Scham und Reue belasteten ihn schwer. Er konnte sich nie dazu durchringen, seinen Eltern zu eröffnen, daß er homosexuell sei. Er muß sich nach ›unschuldigen Freuden‹ so verzweifelt gesehnt haben wie Phèdre, wenn sie sich die schuldlose Liebe Hippolyts und ihrer Rivalin Aricie ausmalt:
 
    Sie konnten sich in voller Freiheit sehn
    Der Himmel billigte ihr schuldlos Lieben,
    Sie folgten ohne Vorwurf, ohne Furcht
    Dem sanften Zug der Herzen. Hell und heiter
    Ging jedes Tages Sonne für sie auf!
    Und ich, der traur'ge Auswurf der Natur
    Verbarg mich vor dem Licht … 28
 
    Mußte er nicht tiefe Empathie mit der unglückseligen Königin empfinden, die sich der inzestuösen Liebe schuldig gemacht hatte, eines so schweren Verbrechens, daß sie sich davor fürchtete, es ihrem Vater Minos zu gestehen, der im Hades über die Seelen der Toten richtet? »›Es steckt mehr Wahrheit in einer Tragödie Racines als in allen Dramen von Monsieur Victor Hugo‹« [ 9 ] , erklärt Baron de Charlus. Er spricht für Marcel Proust.
    ----
    [ 1 ] Proust, Essays, Chroniken und andere Schriften , Werke I, 3, Frankfurt, Suhrkamp, 1992, 32f. Aimer passionnément Racine ce sera simplement aimer la plus profonde, la plus tendre, la plus douloureuse, la plus sincère intuition de tant de vies charmantes et martyrisées, comme aimer passionnément Corneille, ce serait aimer dans toute son intègre beauté, dans sa fierté inaltérable, la plus haute réalisation, d'un idéal héroïque. Proust , Juvenilia, in Contre Sainte-Beuve (1971), 332.
    [ 2 ] 4, 29. rassemblés à leurs pareils par l'ostracisme qui les frappe, l'opprobre où ils sont tombés, ayant fini par prendre, par une persécution semblable à celle d'Israël, les caractères physiques et moraux d'une race. 2:511.
    [ 3 ] 4, 258f. la même existence ecclésiastique que les lévites dans Athalie. 2:632.
    [ 4 ] 4, 357-359. A vrai dire, les quarante années qui séparaient M. Nissim Bernard du jeune commis auraient dû préserver celui-ci d'un contact peu
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