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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2
Autoren: Émile Zola
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hatte die scharfe Luft, von der ihre Schultern eiskalt geworden waren, gar nicht gespürt. Als sie an ihrem Spiegel vorüberkam, blieb sie mechanisch stehen und betrachtete sich. Unwillkürlich lächelte sie und begab sich dann nach unten.
    Tatsächlich waren schon fast alle Gäste eingetroffen: ihre Schwester Christine, ein junges Mädchen von zwanzig Jahren, sehr schlicht in weißen Musselin gekleidet; ihre Tante Elisabeth, Witwe des Notars Aubertot, in schwarzer Seide, eine kleine sechzigjährige Alte von ausgesuchter Liebenswürdigkeit; Sidonie Rougon, die Schwester ihres Gatten, eine magere, süßliche Frau unbestimmbaren Alters, mit einem Gesicht wie aus weichem Wachs, das durch die fahle Farbe ihres Kleides noch erloschener wirkte; dann die Mareuils: der Vater, Herr de Mareuil – er hatte soeben die Trauer um seine Frau abgelegt –, ein großer, unbedeutender schöner Mann von ernsthaftem Wesen, der dem Kammerdiener Baptiste auffallend ähnlich sah, und die Tochter, »diese arme Louise«, wie man sie nannte, ein siebzehnjähriges schmächtiges, leicht buckliges Kind, das mit krankhafter Anmut ein weißes, rotgetupftes Foulardkleid17 trug; sodann eine ganze Anzahl würdiger Männer, reichlich mit Orden dekoriert, bekannte Persönlichkeiten, blaß und wortkarg; außerdem eine andere Gruppe, junge Leute, die Gesichter vom Laster gezeichnet, in tief ausgeschnittenen Westen; sie umringten fünf oder sechs Damen von erlesener Eleganz, unter denen die beiden Unzertrennlichen glänzten, die kleine Marquise d’Espanet ganz in Gelb und die blonde Frau Haffner in Lila. Auch Herr de Mussy, jener Reiter, dessen Gruß Renée nicht erwidert hatte, war zugegen, mit der erregten Miene eines Liebhabers, der seine Verabschiedung nahe fühlt. Und inmitten der langen Schleppen, die sich über den Teppich breiteten, tappten zwei Unternehmer, reichgewordene Maurermeister, Mignon und Charrier, mit denen Saccard am folgenden Tag ein Geschäft abschließen wollte, in ihren groben Stiefeln schwerfällig herum, die Hände auf dem Rücken, urkomisch in ihren Fracks.
    Aristide Saccard, der nahe der Tür stand und in seinem gewohnten näselnden Ton mit seiner südländischen Lebhaftigkeit auf jene Gruppe ernster Männer einsprach, brachte es zuwege, gleichzeitig die ankommenden Gäste zu begrüßen. Er drückte ihnen die Hand, sagte ihnen Liebenswürdigkeiten. Klein, mit einem mageren, verschlagenen Gesicht, verbeugte er sich wie eine Marionette, und was an seiner gesamten hageren, listigen, schwärzlichen Erscheinung am meisten in die Augen fiel, war der rote Fleck des Bandes der Ehrenlegion18, das er besonders breit trug.
    Als Renée eintrat, erhob sich ein Gemurmel der Bewunderung. Sie war wirklich blendend schön. Über einem Tüllrock, der im Rücken mit einer Flut von Volants besetzt war, trug sie eine zartgrüne, mit breiter englischer Spitze umrandete seidene Tunika, von großen Veilchentuffs gerafft und gehalten; ein einziger Volant schmückte das Vorderteil des Rockes, auf dem durch Efeugirlanden verbundene Veilchenbuketts ein leichtes Mullgefältel festhielten. Kopf und Taille schwebten in köstlicher Anmut über den majestätischen Ausmaßen dieses Rockes, dessen Kostbarkeit etwas überladen wirkte. Bis an die Spitzen der Brüste ausgeschnitten, die Arme entblößt bis zu den Veilchenbuketts auf den Schultern, schien die junge Frau völlig unbekleidet ihrer Hülle von Tüll und Seide zu entsteigen, gleich einer jener Nymphen, deren Oberkörper heiligen Eichen entwächst; und ihr weißer Busen, ihr biegsamer Leib waren offensichtlich schon so glücklich über ihre halbe Freiheit, daß man jeden Augenblick darauf wartete, das Gewand allmählich herabgleiten zu sehen wie den Anzug einer Badenden, die sich an der eigenen Schönheit berauscht. Ihre hohe Frisur, ihr feines, zu einem goldenen Helm emporgekämmtes Haar, durch das sich ein mit Veilchen geschmückter Efeuzweig wand, betonte noch die Nacktheit, weil sie den Nacken frei ließ, auf den goldig schimmerndes Flaumhaar einen leichten Schatten warf. Um den Hals trug sie ein Edelsteingeschmeide von wunderbarem Glanz und über der Stirn eine Aigrette aus silbernen, mit Diamanten besetzten Halmen. So verharrte sie einige Augenblicke auf der Schwelle, hochaufgerichtet in ihrer herrlichen Toilette, die Schultern übersprüht von dem warmen Licht. Da sie rasch die Treppe herabgekommen war, atmete sie schnell. Ihre Augen, noch ganz erfüllt von den Schatten des Parc Monceau19,
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