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Die Beute - 2

Die Beute - 2

Titel: Die Beute - 2
Autoren: Émile Zola
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Frau.
    »Ja, gnädige Frau, er kleidet sich um«, antwortete der Diener mit einem Neigen des Kopfes, um das ihn ein Fürst als Gruß für die Menge hätte beneiden können.
    Langsam ging Renée die Treppe hinauf und zog dabei die Handschuhe aus.
    Das Vestibül war von großer Pracht. Beim Eintreten empfand man eine leichte Beklemmung. Die dicken Teppiche, die den Boden bedeckten und sich die Stufen hinanzogen, die breiten roten Samtbehänge an Wänden und Türen erfüllten die Luft mit der lastenden Stille und dem erschlaffenden Wohlgeruch einer Kapelle. Die Vorhänge fielen von ganz oben herab, und die sehr hohe Decke war mit vorspringenden Rosetten geschmückt, die an einem Gitter aus Goldstäbchen saßen. Die Treppe, deren doppeltes weißes Marmorgeländer mit rotem Samt belegt war, teilte sich in zwei leicht gebogene Arme, zwischen denen sich im Hintergrund die Tür zum großen Saal befand. Auf dem ersten Treppenabsatz nahm ein riesiger Spiegel die ganze Wand ein. Unten, am Fuß der beiden Treppenarme, trugen zwei bis zum Gürtel nackte Frauengestalten aus vergoldeter Bronze, die auf Marmorsockeln standen, große fünfflammige Kandelaber, deren helles Licht von Mattglaskugeln gedämpft wurde. Und zu beiden Seiten reihten sich wundervolle Majolikakübel, in denen seltene Pflanzen blühten.
    Mit jeder Stufe, die Renée hinaufstieg, wuchs ihre Gestalt im Spiegel, und mit dem Zweifel, der die gefeiertsten Schauspielerinnen befällt, fragte sie sich, ob sie wirklich so anziehend sei, wie man ihr sagte.
    In ihren Räumen angelangt, die im ersten Stock lagen und deren Fenster auf den Parc Monceau gingen, klingelte sie nach Céleste, ihrer Kammerzofe, und ließ sich zum Diner ankleiden. Das dauerte fünf gute Viertelstunden. Als die letzte Nadel gesteckt war, öffnete sie ein Fenster, denn es war sehr heiß im Zimmer, stützte sich mit dem Ellbogen auf das Fensterbrett und versank in Nachdenken. Hinter ihr bewegte sich leise Céleste und räumte die Toilettengegenstände einen nach dem andern beiseite.
    Drunten im Park wogte ein Meer von Schatten. Die hohen tintenschwarzen Laubmassen, von plötzlichen Windstößen geschüttelt, hatten das weite Wiegen wechselnder Gezeiten, begleitet vom Rascheln der dürren Blätter, das an das Auflaufen der Wellen an einem Kieselstrand erinnert. Durch diesen Wirbel von Finsternis fuhr nur bin und wieder ein lichter Streifen von den gelbleuchtenden Augen eines Wagens, die zwischen den Baumgruppen längs der großen Allee, die von der Avenue de la ReineHortense zum Boulevard Malesherbes führt, auftauchten und wieder verschwanden. Angesichts dieser herbstlichen Traurigkeit fühlte Renée, wie aller Gram erneut in ihrem Herzen aufstieg. Sie sah sich wieder als Kind im Hause ihres Vaters, in jenem stillen Palais auf der Ile Saint Louis16, das die Familie Béraud Du Châtel seit zwei Jahrhunderten mit ihrem düsteren Beamtenernst erfüllte. Dann dachte sie an ihre wie durch Hexerei zustande gekommene Heirat, an jenen Witwer, der sich für diese Heirat verkauft und seinen Namen Rougon gegen den Namen Saccard vertauscht hatte, dessen zwei trockene Silben ihren Ohren anfänglich wie das harte Kratzen von zwei Rechen klangen, die Gold zusammenscharren. Er ergriff Besitz von ihr, riß sie in dieses maßlose Leben, darin ihr armer Kopf von Tag zu Tag ein wenig wirr wurde. Dann begann sie, sich mit kindlicher Freude zu den schönen Federballspielen von einst mit ihrer kleinen Schwester Christine zurückzuträumen. Eines Morgens aber würde sie wohl aus dem Genußtraum, in dem sie seit zehn Jahren schwelgte, jäh aufwachen, halb verrückt, beschmutzt durch eine jener Spekulationen ihres Mannes, an der er selber zugrunde gehen würde. Es war wie eine blitzartige Vorahnung. Die Bäume klagten nun lauter. Geängstigt durch diese Gedanken an Schande und Strafe, gab Renée alten, ehrbaren Bürgerinstinkten nach, die tief in ihrem Innern schlummerten; sie gelobte der dunklen Nacht, sich zu bessern, nicht mehr soviel für ihre Toiletten auszugeben und irgendeinen unschuldigen Zeitvertreib zu suchen, wie in jenen glücklichen Tagen im Mädchenpensionat, wo die Schülerinnen sangen: »Wir gehen nicht mehr in den Wald« und dabei friedlich unter den Platanen wandelten. In diesem Augenblick kam Céleste, die hinuntergegangen war, ins Zimmer zurück und flüsterte ihrer Herrin zu: »Der Herr läßt die gnädige Frau bitten, herunterzukommen. Es sind schon mehrere Gäste im Salon.«
    Renée erschauerte. Sie
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